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„Mir wäre weitaus lieber, wir hätten nicht so oft Recht“

Rudolf Hickel, seit 26 Jahren Mitglied der Memorandum-Gruppe, über die Schwierigkeiten, dem wissenschaftlichen Mainstream zu trotzen

taz: Sie sind zu bewundern, Herr Hickel.

Rudolf Hickel: Wofür denn?

Für Ihre Ausdauer. Seit 26 Jahren bietet die Memorandum-Gruppe den wechselnden Bundesregierungen kostenlose Politikberatung. Gedankt wird Ihnen das nicht – Ihre Empfehlungen verpuffen. Ist das nicht frustrierend?

Es frustriert vor allem bei der rot-grünen Bundesregierung, in deren Koalitionsvertrag wir viele unserer Forderungen gut aufgehoben gesehen haben. Heute verlässt auch sie sich auf den wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream, der seit Mitte der 70er-Jahre propagiert, dass man mit der Steigerung der Gewinne die Investitionen von morgen und damit die Beschäftigung von übermorgen produzieren kann. Mehr noch: Sie erzeugt ihn sogar mit. Aber das ist kein Grund, sich enttäuscht zurückzuziehen, sondern macht es noch wichtiger, Alternativen aufzuzeigen, dass eine andere Politik immer noch möglich ist.

Wem wollen Sie das zeigen?

In erster Linie der Bundesregierung selbst, damit sie nicht sagen kann, sie habe es nicht gewusst. Ebenso den Gewerkschaften und den Medien. Und dem wissenschaftlichen Nachwuchs, damit der sieht, dass es auch in Deutschland mehr als eine Meinung gibt. Gesamtwirtschaftliches Denken hat heute völlig an Bedeutung verloren. Vielleicht weil es intellektuell viel komplizierter ist, als einfach so zu tun, als reiche es für eine funktionierende Volkswirtschaft, wenn jeder einzelwirtschaftlich für sich handelt.

Diese Einstellung wird immerhin weit gehend durch die Gutachten der offiziellen Wirtschaftsweisen gestützt.

Mich ärgert, dass die fünf Weisen immer als die dargestellt werden, die die hehre Wirtschaftswissenschaft vertreten, während wir als Ideologen gelten. Für dieses Image ist der Rat der Weisen jahrelang bewusst als geschlossener Block aufgetreten, auch wenn einzelne Mitglieder dadurch gezwungen waren, sich opportunistisch zu verhalten. Erst seit sich mit Jürgen Kromphardt wieder jemand traut, Minderheitsvoten abzugeben, wird deutlich, dass der Rat durchaus streitbare Thesen vertritt.

Man hat der Memorandum-Gruppe vor allem die Forderung nach aktiverer Politik übel genommen. Jetzt, in der Krise, wird Regulierung wieder modern, etwa bei Fusionen oder auf den Finanzmärkten. Ist das für Sie eine kleine Genugtuung?

Dass der radikale marktwirtschaftliche Kapitalismus Probleme erzeugt, die er selbst nicht bewältigen kann, ist eine unserer Grundbotschaften. Schon Karl Marx hat gesagt, eine Krise sei der beste Lehrmeister für die Gestaltung des Kapitalismus. Jetzt könnten wir uns zurücklehnen und sagen, wir haben Recht gehabt. Aber mir wäre lieber, wir hätten weniger Recht, und die Verhältnisse wären besser.

Es kritisiert sich leicht, wenn der eigene Politikansatz sich nie in der Praxis bewähren musste.

Es gibt immer die Gefahr, sich in Besserwisserei zu verlieren und linksintellektueller Modellschreiner zu werden. Aber ich glaube, wir sind extern und intern zu sehr in der Auseinandersetzung, als dass wir den Bezug zur Realität verlieren würden.

Und das gibt Ihnen die Sicherheit, dass Ihre Empfehlungen richtig sind?

Sicherheit gibt es nie. Es ist unglaublich schwierig, gute Konzepte zu entwickeln. Man kann sagen, der Pfad geht in die richtige Richtung. Aber man muss auch beobachten, was sich verändert. Es gibt immer neue Herausforderungen. Als es etwa um den Transformationsprozess in Ostdeutschland ging, gab es keine Theorie, wie man das macht. Wir hatten auch keine. Wir konnten doch nicht sagen: Auf Ostdeutschland ist der Kapitalismus in imperialistischer Manier ausgedehnt worden, und was das bedeutet, steht in den früheren Memoranden. Es ist schließlich viel komplizierter.

Sie können also nicht sagen, ob wir jetzt blühende Landschaften hätten, wäre die Politik Ihren Empfehlungen gefolgt?

Vielleicht hätten wir ein Tulpenfeld. INTERVIEW: BEATE WILLMS

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