Die Botschaft des Mix-Tapes

Immer mehr Autoren mühen sich, anhand ihrer Plattensammlung die eigene Biografie als Pop nachzuerzählen

Es sind lauter Abgesänge auf eine Zeit, als Pop noch kein ganz öffentliches Gut war

Dass sich im persönlichen Musikgeschmack die Irrungen und Wirrungen der eigenen Biografie spiegeln, diese Erkenntnis ist spätestens seit Nick Hornbys „High Fidelity“ Allgemeingut. Ein Blick ins CD-Regal gibt oft tiefe Einblicke frei. Und was man an Pop liebt oder hasst, sagt eine ganze Menge darüber aus, wie man über das Leben, die Liebe und die Zwänge des Geldverdienens denkt.

Inzwischen gibt es auch im deutschsprachigen Raum, was im angloamerikanischen Raum, der Heimat der Popmusik, längst Tradition hat: Autoren, die mittels Musik ihre Jugend aufarbeiten anhand all der Platten, die sie mit 14, 18 oder 25 geliebt haben. Es sind die immer gleichen Fragen, die bewegt werden: Wie wurde ich Popfan und was hat Pop für mich getan? Hat es mich für den Ernst des Lebens untauglich gemacht und mich für die Frauenwelt verdorben?

In seinem Buch „Mein erster Sanyo – Bekenntnisse eines Pop-Besessenen“ erzählt Christian Gasser unterhaltsam, in hübschen und eleganten Schleifen, sein langsames, von peinlichen Aussetzern begleitetes Herantasten an den richtigen Geschmack. Doch als der endlich gefunden ist, folgt rasch die Einsicht, dass all das angehäufte Wissen wenig wert ist in den Augen der Welt. Kein Grund aber zum Selbstmitleid, eher ein Reservoir für selbstironische Betrachtungen.

Ein paar Lebensweisheiten hat Gasser auch gelernt. So weiß er, worauf man beim Aufnehmen eines Mix-Tapes achten sollte – vor allem, wenn der Adressat eine Angebetete ist: „Mut zur Rücksicht auf ihre Vorlieben! Damit sagst du: Ich bin kein Geschmackstyrann, und du wirst bei mir auch deine CDs einlegen können. Entscheidend ist aber: Keine Anbiederung! Keine faulen Kompromisse!“

Weniger originell kommt die Abhandlung „Kleine Philosophie der Passionen – Schallplatten“ von Sky Nonhoff daher. Was der 1962 geborene Autor über seine verlängerte Pubertät zu erzählen hat, wirkt vor allem ein wenig altbacken und fällt nicht selten ins Klischee. Im Plattenladen den coolen Connaisseur mimen, zu Hause vor dem Spiegel Luftgitarre spielen und seinen Autismus in manischer Sammelleidenschaft kompensieren – solcherlei Bekenntnisse hat man in letzter Zeit schon zu oft gehört, dann aber meist witziger aufbereitet.

Wie Nonhoff dagegen sein Territorium abschreitet, ist leider ziemlich vorhersehbar: Seine Hauptfigur ist ein 45-jähriger Sammler mit eben jener typischen Jugend- und Plattensammlung, bei den Mädchen hingegen findet man höchstens Cat Stevens im Plattenschrank, weswegen sich Männer und Frauen auch nie richtig verstehen werden. Na denn.

Überhaupt, Frauen. Alle diese Pop-Biografien stammen von Männern. Das wirft die Frage auf, ob Frauen ihre Popsozialisation schlicht vergessen, oder ob sie nur niemand hören will. Schließlich trägt Popmusik auch bei Frauen zur Persönlichkeitsbildung bei. Davon zeugen nicht nur die zahllosen Mixkassetten, die, liebevoll bemalt und mit aufwendigen Fotocollagen versehen, bei manchen Jungs im Regal liegen – von Boygroups und dem ganzen Programm ganz zu schweigen.

Doch auch im Lesebuch „The Boys Are Back in Town – Mein erstes Rockkonzert“ sind die Männer in der Überzahl, vom illusionslosen Hamburger Trash-Pophelden Knarf Rellöm bis zu Advokaten der guten, alten Musik wie Wolfgang Doebeling. Dennoch bietet das Buch einen unterhaltsamen Querschnitt durch Genres und Generationen, vor allem aber eine Ansammlung lustiger Beschreibungen vom Aufwachsen in der (west-) deutschen Provinz. Da kommt eine ganz umfangreiche Kulturgeschichte der Bundesrepublik zusammen, schließlich beginnt „Mein erstes Rockkonzert“ mit einem Augenzeugenbericht vom Auftritt Bill Haleys im Jahre 1957, und endet mit dem Besuch des Herzbergfestivals 1999.

Rock sei „mittlerweile auf einem gewaltigen Flaschenhals vom naiven in den sentimentalischen Äon gerutscht“, schreibt der Herausgeber Frank Schäfer in seinem Vorwort. Nicht nur sein Buch bestätigt diesen Befund. Was die Autoren aller Pop-Biografien eint, ist der Abgesang auf eine Zeit, als Pop noch kein ganz öffentliches Gut war und man der Welt mit Musik und Mode noch zeigen konnte, was man von ihr hält. Das ist heute nicht mehr so einfach, wo es selbst für Politiker zum guten Ton gehörte, sich auf der Love Parade zu zeigen oder mit Oasis zu kungeln. STEPHANIE GRIMM

Christian Gasser: „Mein erster Sanyo. Bekenntnisse eines Pop-Besessenen“. Edition Tiamat, 192 Seiten, 28 DMSky Nonhoff: „Kleine Philosophie der Passionen. Schallplatten“. DTV, München, 123 Seiten, 15,50 DMFrank Schäfer (Hrsg.): „The Boys Are Back in Town. Mein erstes Rockkonzert – Ein Lesebuch“. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 237 Seiten, 24,80 DM