IN EUROPA KOMMT BERLUSCONIS OPFERNUMMER NICHT GUT AN: Ausreden für den Hausgebrauch
Silvio Berlusconi schien einen Königsweg gefunden zu haben, um mit allen Vorwürfen fertig zu werden: erstens, Konsequent das Opfer spielen. Zweitens, die Opfernummer so oft bringen, bis sie geglaubt wird. In Italien hat das hervorragend geklappt: Fragen nach der Herkunft seines Startkapitals? Linke Neidkampagnen! Probleme mit der Justiz wegen Korruption? Rote Roben! Gesetzespläne gegen den ungenierten Einsatz seines Medienimperiums in der Politik? Stalinistische Diktatur!
50 Prozent der Italiener schenken dem gewieften Medien- und Werbeunternehmer seit 1994 konstant Glauben; selbst Linke wagen heute kaum noch, laut nach Berlusconis Vergangenheit zu fragen oder gar praktisch zu intervenieren. Deshalb fühlte sich der Kandidat so sicher, dass er sich selbst zum exklusiven Wahlkampfargument beförderte. Ein Krösus als Napoleon, so präsentiert sich Berlusconi in millionenfach verschickten Hochglanz-Fotoheftchen. Was sollte da noch schief gehen? Selbst das europäische Ausland, so schien's, hatte die massiven Vorbehalte, die noch 1994 laut geworden waren, ad acta gelegt. Heute gehört Berlusconis Forza Italia zur Europäischen Volkspartei; niemand in Europas Staatskanzleien spricht von Sanktionen à la Haider.
Berlusconi vergisst: Die Wähler zu Hause mögen sich an ihn gewöhnt haben – doch dadurch wird er noch lange nicht zum Normalfall europäischer Demokratie. Gerade jetzt haben einige – ausgerechnet liberal-konservative – europäische Medien das Thema Berlusconi für sich entdeckt. Und was macht der Kandidat? Reflexartig wiederholt er die Nummer vom verfolgten Opfer, versucht, ganz Europa das Dogma von der unbefleckten Empfängnis seiner Reichtümer zu verordnen.
Italiens Linke – so erfahren wir – ist stark genug, um den Economist genauso wie Le Monde für ihre Schmutzkampagnen einzuspannen. Für den Hausgebrauch mag diese Antwort ausreichen; die italienischen Berlusconi-Fans glauben ihrem Idol so gut wie alles. Europas Öffentlichkeit ist noch nicht so weit: Sie erwartet Antworten statt aggressiv gebellter Ausflüchte. MICHAEL BRAUN
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