: Zwischen allen Fronten
JournalistInnen im Krisengebiet Nahost sind nicht nur besonderen Belastungen ausgesetzt, auch die objektive Berichterstattung ist in Gefahr. Die sei nämlich fest in palästinensischer Hand, beschweren sich Fernsehleute
aus Jerusalem ANNE PONGER
Von ausgewogen berichtenden Nahost-Korrespondenten wird erwartet, dass sie sich auf beiden Seiten „ins Feld“ begeben, in diesem Fall auch ins Schlachtfeld. Sie sollten den Verlauf von Militäraktionen, die Folgen von Terroranschlägen mit eigenen Augen sehen und mit Menschen diesseits und jenseits der grünen Linie reden können. Obwohl Korrespondenten in Konfliktgebieten ein gewisses Berufsrisiko kennen, sollten sie fotografieren, filmen und Reportagen schreiben, ohne pausenlos Leben und Gesundheit auf Spiel zu setzen. Ins Schlachtfeld, d. h. in die von Israel besetzten und belagerten Palästinensergebiete, trauen sich heute nur noch wenige der rund 300 in Israel akkreditierten ausländischen Korrespondenten: mindestens vierzehn Kollegen, darunter zwei Frauen, sind in sieben Monaten Intifada durch israelische Schüsse teils schwer verwundet worden. Es könnte vorbei sein mit dem Beruf, wenn man Auge, Hand oder Bein verliert.
Schon im November letzten Jahres, nach eineinhalb Monaten Intifada, hatte das „Komitee zum Schutz von Journalisten“ in New York mehr als zwei Dutzend Fälle dokumentiert, in denen Reporter und Fotografen bei der Berichterstattung über gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Truppen angeschossen, verprügelt oder behindert worden waren. Die Organisation „Palestine Monitor“ spricht nun nach sieben Monaten Intifada von 71 bekannt gewordenen Fällen.
Am 29. April sandte die Auslandspresse-Organisation (FPA) in Tel Aviv einen erneuten Protestbrief an Ministerpräsident Scharon,Verteidigungsminister Ben-Eliezer, Generalstabschef Mofaz und Armeesprecher Jarden Vatikay: die für eine TV-Station in Abu Dhabi arbeitende Laila Odeh war am 20. April bei Aufnahmen ihrer Crew im Gaza-Flüchtlingslager Rafah von einem Soldaten in die Hüfte geschossen worden – von hinten, nachdem sie den Ort auf seinen Befehl hin bereits verließ. Die Antwort des Armeesprechers lautete lapidar, die „Präsenz von Journalisten unter Randalierern und in Unruhezonen“ gefährde nun mal ihre Sicherheit. Die schießwütigen Soldaten und ihre Kommandanten werden in der Regel nicht zur Rechenschaft gezogen.
In nur zwei Fällen informierte der Armeesprecher die betreffenden Medienorganisationen über Resultate von Untersuchungen: nach den Schüssen auf CNN-Korrespondent Ben Wedeman Ende Oktober in Gaza und auf die AP-Fotografin Yola Monakhov in Bethlehem. Die Kugel, die Monakhov in der Jerusalemer Hadassah-Klinik aus dem Leib operiert wurde, hatte ein Soldat aus nächster Nähe auf sie abgefeuert – „absichtlich und aus Wut“, wie die Armee-Untersuchung bestätigte.
Der Reporter Jaques-Marie Bourget von Paris-Match wurde am 21. Oktober in Ramallah in die Brust getroffen und schwer verwundet. Dem Stern-Fotografen Bruno Stephens riss ein Streifschuss am selben Tag den Hals auf. Dem Agence-France-Presse-Fotografen Patrick Baz hatte man am 18. Oktober in Ramallah die Hand zerschossen, die die Kamera hielt, den Newsweek-Fotografen Luc Delahaye hatte schon am 9. Oktober dasselbe Schicksal ereilt.
Sie alle und Dutzende von palästinensischen Medienleuten hatten den Zorn israelischer Soldaten, aber auch jüdischer Siedler erregt: mit dem Vorwurf „feindseliger Berichterstattung“ hatte man auf Journalisten gefeuert, sie geschlagen, festgenommen, ihre Ausrüstungen zerstört.
Israels Medien-Image im Ausland sei nur deshalb so schlecht, weil bei allen wichtigen TV-Organisationen Palästinenser die Kontrolle der Intifada-Berichterstattung übernommen hätten, jammerte nun Ehud Yaari, prominenter Kommentator des staatlichen Fernsehens. „Über 95 Prozent der Fernsehbilder aller ausländischen Kanäle werden mittlerweile von palästinensischen Mitarbeitern besorgt, die sich politisch und emotional mit der Intifada identifizieren und die Israelis in schlechtes Licht rücken“, schrieb Yaari in der letzten Ausgabe des Magazins Jerusalem Report.
Auch Nachrichtenagenturen heuerten nur noch palästinensische Assistenten an, um über Vorgänge in den Gebieten zu berichten, da die Sicherheit von Israelis und Ausländern durch Entführungswarnungen der Fatah-Miliz Tansim bedroht sei. „So machen Arafat und Genossen freie Berichterstattung effektiv zunichte“, schloss Yaari bestürzt.
Für die wachsende EU-Kritik an Israel macht das Jerusalemer Außenministerium natürlich auch die „verzerrte Berichterstattung zugunsten der Palästinenser“ verantwortlich. „Unsere Sorge gilt den von den Medien beeinflussten Bevölkerungen. Die haben sich einen Vergleich zwischen palästinensischem Terror und jüdischem Siedlungswesen einreden lassen und drücken von unten auf ihre Regierungen. Da bleibt viel Aufklärungsarbeit, um diese Fehleinschätzung zu korrigieren“, sagte Außenministeriums-Chef Alon Liel in einem Radiointerview unverhohlen.
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