: „Es fehlt noch der systematische Zugang“
Die Vorschläge der Justizministerin Herta Däubler-Gmelin zur Stärkung des Opfers bleiben im Ansatz stecken, meint die Kriminologin Monika Frommel. Gelder werden lediglich an Opferverbände umgeleitet. Nach der Statistik haben Frauen stärker Angst, weil sie häufiger Opfer werden
taz: Sie fordern, das Strafrecht feministisch zu betrachten. Wozu?
Monika Frommel: Es gibt Bevölkerungsgruppen, die fast nie Täter, aber durchaus Opfer werden. Das sind vor allem junge Frauen und Kinder, aber auch alte Menschen. Sie alle äußern in Umfragen mehr Angst als etwa junge Männer, die der Strafverfolgung als Täter häufig begegnen. Der Grund für dieses subjektive Empfinden liegt unter anderem darin, dass ihre Sicherheitsinteressen durch das gesamte System der sozialen Kontrolle, auch durch das Strafrecht, schlechter berücksichtigt werden.
Lehrt uns denn nicht die liberale Kriminologie, dass subjektive und objektive Sicherheitslagen auseinanderklaffen, dass also das Gefühl von Gefährdung nicht unbedingt einer realen Gefahr entspricht?
Das ist linkspatriarchaler Schrott, ein Vorurteil. Dem hohen Opferrisiko im Dunkelfeld entsprechen keine Daten der Kriminalstatistik, aber Ängste richten sich nach Statistiken, die die Anzeigehäufigkeit der Polizei messen. Das diffuse Unbehagen, das in der Öffentlichkeit darüber besteht, äußert sich immer wieder in den Forderungen nach härteren Strafen, also in repressivem Populismus.
Aber was muss dann am Strafrecht verändert werden?
Das Strafrecht fragt nicht nach den Belangen der Opfer und sperrt auch ungefährliche Täter ein. Beides ist falsch. Vernetzungsprojekte gegen häusliche Gewalt sind ein sinnvoller erster Schritt auf den Weg zu einer opferorientierten Sicherheitspolitik, die nicht nach härteren Strafen ruft, sondern die Hilfe für Opfer als erstes Problem klärt.
Und die gerade von der sozialdemokratischen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin vorgestellten Maßnahmen zur Stärkung des Verbrechensopfers?
Die bleiben leider im Ansatz stecken, da der systematische Zugang noch fehlt. Es werden nur ein paar Gelder an Opferorganisationen wie den Weißen Ring umgeleitet.
Bedeutet Opferorientierung also Sicherheit statt Strafe?
Nein. Das System muss aber unterscheiden lernen zwischen den Tätern, die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen, und denen, die zwar ein schweres Delikt begangen haben, aber für die eine Inhaftierung sinnlos ist. Ein Drittel bis die Hälfte aller Insassen sitzen etwa wegen Drogen im Gefängnis. Die haben dort nichts verloren. Wir müssen mit neuen Strafmodalitäten reagieren: deutliche Wiedergutmachung und nicht nur niedrige Schadenersatzzahlungen.
Aber wie wollen Sie Menschen bestrafen, die nichts haben?
Das stellt in der Tat das Dilemma des bestehenden Strafsystems dar. Zu den Menschen, die nichts zu verlieren haben, fällt uns leider bis heute nichts anderes ein als die Freiheitsstrafe. Unser bisheriges System ist auf diese Problemklientel hin orientiert, ohne das Problem offen zu benennen: Welche Strafen außer Geldstrafe gibt es in einer modernen Gesellschaft?
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN
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