: Raketen im Dunkeln
Europäer können sich nicht auf eine einheitliche Haltung zum amerikanischen Abwehrsystem im Weltraum verständigen. Weltweite Sorge um neues Wettrüsten. ABM-Vertrag praktisch hinfällig
WASHINGTON/BRÜSSEL ap/rtr/taz ■ Die Entscheidung von US-Präsident George W. Bush, das nationale Raketenabwehrprogramm (NMD) weiter voranzutreiben, sorgt in Russland und bei vielen europäischen Verbündeten der USA für Skepsis. Besondere Sorge bereiten die Auswirkungen auf den Vertrag über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM) von 1972. Der ABM-Vertrag verbietet praktisch die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen, mit denen die Abschreckung zwischen den Großmächten untergraben würde. Die russische Regierung wirft den USA vor, mit dem NMD-Programm jetzt einen Vertrag auszulöschen, der in den vergangenen drei Jahrzehnten den Frieden gesichert habe. Außerdem versuchten die USA auf diese Weise, ihre militärische Dominanz zu festigen. Offizielle Reaktionen aus China und Nordkorea lagen gestern nicht vor. Doch wurden auch hier harsche Reaktionen erwartet.
Viele europäische Staaten befürchten, dass Bushs Politik Russland und China zu einer weiteren Aufstockung ihrer Atomwaffenbestände treibe. „Wir fordern Präsident Bush auf, von dem NMD-Programm Abstand zu nehmen, so wie wir China, Indien und Pakistan auffordern, ihre Nuklearwaffenarsenale aufzugeben“, sagte die schwedische Außenministerin Anna Lindh, deren Land zurzeit die EU-Präsidentschaft innehat. Bundesaußenminister Joschka Fischer und Nato-Generalsekretär George Robertson begrüßten dagegen die Bereitschaft der Bush-Regierung zur Kooperation mit den Verbündeten. Der britische Außenminister Cook erklärte, wichtig sei das klare Bekenntnis Bushs zur Zusammenarbeit mit den Verbündeten und Russland. Bush hatte am Dienstag erklärt, der ABM-Vertrag mit seinem Verbot einer landesweiten Raketenabwehr gehöre der Vergangenheit an. Das NMD-Programm richte sich nicht gegen Russland und andere Atommächte, sondern gegen „Schurkenstaaten“.
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