piwik no script img

Das Chaos als Chance begreifen

Weil kein Schwein weiß, wann die Love Parade stattfindet, wollen Berliner Szeneclubs das Zepter übernehmen

Raver sind konservativ und überlassen nichts dem Zufall. Dieses Bild zeichneten gestern Berliner Clubbetreiber, denen die Diskussion um das Datum der diesjährigen Love Parade gelinde gesagt am Arsch vorbeigeht.

Die Versammlungsbehörde hatte die Love Parade an ihrem traditionellen Datum, dem zweiten Samstag im Juli, am traditionellen Ort, dem Berliner Tiergarten, verboten. Der Grund: Eine Handvoll Naturschützer ist den Veranstaltern der Love Parade, der Planetcom, mit ihrer Anmeldung für eine Demonstration zum Schutz des Tiergartens zuvorgekommen. Als Alternative wird derzeit der 21. Juli diskutiert. Weil auch dieses Datum von Naturschützern mit einer Demonstration „belegt“ ist und eine Einigung nicht in Sicht ist, tönt es Posemuckel, Kleinkleckersdorf und Provinzposse aus aller Munde.

Deshalb hat sich gestern die „Club Commission“, zu der sich im vergangenen Jahr etwa 40 Berliner Clubs und Veranstalter zusammengeschlossen haben, zu Wort gemeldet – mit einer „Declaration of Berlin“. In diesem Papier beklagen sie mit markigen Worten, dass „niemand mehr auf die Belange der Menschen achtet, die seit über einer Dekade das größte friedliche Freudenfest junger Menschen weltweit zelebrieren“. Deshalb wolle man „Verantwortung“ übernehmen – für die „mehreren 10.000 Menschen“, die ihrer Meinung nach am 14. Juli nach Berlin kommen werden – ob mit oder ohne Love Parade.

Die Quellen dieser Information blieben gestern trotz strahlendem Sonnenschein im Dunkeln. Aber das darf man nicht so eng sehen, schließlich gehören die Clubbetreiber und Veranstalter zur „Szene“. Und die will am 14. Juli Gastfreundschaft ganz groß schreiben und den konservativen Ravern, die schon gebucht und Urlaub genommen haben, unvergessliche Stunden in ihren Clubs bereiten. Details wurden noch nicht verraten.

Damit auch all die konservativen Raver in Übersee und sonst wo davon erfahren, soll die „Declaration of Berlin“ an alle Botschaften geschickt werden, damit diese wiederum Außenminister und internationale Presse informieren, dass „nicht alle in der Hauptstadt streiten“. Die Adressenliste der Botschaften dürfte der Sprecher der „Club Commission“, Sascha Wolf, im Kopf haben. Denn der moderiert im Jazz-Radio eine „Diplomatic Lounge“ und freute sich gestern ganz doll: „Die Szene ist freudestrahlender Dritter, wir sind die, die vorne reiten.“ Übrigens ist auch Planetcom, der Veranstalter der Love Parade, Mitglied in der „Club Commission“. Alles klar?

Gestern signalisierten die Naturschützer, die sich den 21. Juli unter den Nagel gerissen haben, Kompromissbereitschaft. Man könne sich die Strecke durch den Tiergarten mit den Ravern teilen, wenn der Paraden-Veranstalter Planetcom auf die Bürgerinitiative zukomme. Aber das ist fraglich. Auf der Homepage der Love Parade steht ohnehin seit Tagen der 21. Juli als Datum für die diesjährige Parade unter dem Motto „Join the Love Republic“ und dem Zusatz: „Wir haben eine Vorstellung von einer besseren Welt und wir haben eine Idee, wie man sie schafft!“B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen