: Eine Million verdirbt das Konzept
Die CDU sah sich vorn: Ihre Zuwanderungskommission hat ein bündiges Konzept vorgestellt. Leider hat die Partei aber auch eine neue schwarze Million
aus Berlin JENS KÖNIG und PATRIK SCHWARZ
Angela, die Geradlinige, Angela, die Moralische, Angela, die Aufklärerische, Angela, die Ungewöhnliche – was war über die CDU-Chefin vor einem Jahr nicht alles geschrieben worden. Und heute, eine Kiep-Million später? Angela Kohl – so heißt die Parteivorsitzende plötzlich.
Die eine Million Mark, die der frühere Schatzmeister Walther Leisler Kiep seiner Partei überwies, hat die CDU in eine Krise gestürzt. Tagelang waren von der Parteispitze nur falsche, widersprüchliche oder auftrumpfende Aussagen dazu zu hören. Das reichte, um aus der Kohl- eine Merkel-Affäre werden zu lassen.
Angela Merkel hat das gespürt in den letzten Tagen. „Ich habe mich unwohl gefühlt“, gibt sie zu. Die vergangene Woche sei sehr ungünstig verlaufen. Sie habe nicht einmal mehr ihren Geschäftsführer Willi Hausmann, einen ihrer engsten Vertrauten, verstanden. „Aber jetzt sind die Dinge wieder klar“, sagt Merkel. Die Partei habe einen Fehler begangen, den habe sie öffentlich gemacht, jetzt könne sie weiter ihren Weg der Aufklärung beschreiten. Doch wieder Angela Merkel statt Angela Kohl?
Die Parteiführung hat sich alle Mühe gegeben, diesen Eindruck zu erwecken. Eigentlich waren Präsidium und Vorstand nach Berlin gekommen, um ihr erstes inhaltliches Konzept für den Bundestagswahlkampf 2002 zu verabschieden. Die CDU hat sich in den vergangenen Wochen auf ein Papier zur Einwanderungspolitik geeinigt, das ihr viele gar nicht zugetraut haben. Und es liegt zu einem Zeitpunkt vor, wo die Zuwanderungskommission der Regierung noch fleißig diskutiert. Diesen Coup wollte die CDU feiern.
Stattdessen ist Schadensbegrenzung angesagt. Aufklärung der Kiep-Affäre. Rettung des Merkel-Images. Und trotz allem der verzweifelte Versuch, mit dem Einwanderungspapier in die Offensive zu kommen. Das macht man am besten, in dem man so tut, als hätte das eine nichts mit dem anderen zu tun, dachte sich die CDU und setzte einfach zwei Pressekonferenzen innerhalb von zwei Stunden an: erst eine zu Kiep, dann eine zur Einwanderung. Aber deutlicher hätte die Partei gar nicht machen können, dass sie nicht wirklich etwas gewinnen kann, schon gar keine Bundestagswahlen, solange ihr die Kohl-Affäre noch in den Knochen steckt.
Und wie sehr ihr die ganze Affäre noch in den Knochen steckt, kann man an diesem Tag an Willi Hausmann sehen. Müde sieht er aus, abgekämpft. Manchmal ringt er regelrecht um Fassung. Er, der stille Bundesgeschäftsführer, ist heute der Buhmann. Er steht bei der ersten Pressekonferenz neben Angela Merkel und beichtet. Er übernimmt die persönliche Verantwortung für die Pannen beim Umgang mit der Millionenzahlung von Kiep. Er habe die politische Brisanz des Vorgangs nicht erkannt und Angela Merkel sowie Generalsekretär Laurenz Meyer deshalb nur unzureichend darüber informiert, sagt er. Er habe Merkel seinen Rücktritt angeboten. Vor laufenden Kameras lehnt die Parteivorsitzende das Angebot ab.
Wahrscheinlich, weil Hausmann mit jedem Detail der Affäre vertraut ist. Das kann er an diesem Tag unter Beweis stellen. Er zerlegt den Vorgang mit der Kiep-Million in seine Einzelteile. Heraus kommt dabei, dass die CDU versucht hat, sich mit ihrem Ex-Schatzmeister Kiep wegen möglicher Schadensersatzforderung außergerichtlich zu einigen. Kiep schien darauf einzugehen, überwies dann eine Million, ließ die CDU aber im Unklaren darüber, ob es sich dabei um eine erste Schadensersatzzahlung, um eine Spende an die Partei oder um Geld aus dem aufgelösten Schweizer Konto der „Norfolk“-Stiftung handelt. In einem Brief ließ Kiep später über seinen Anwalt lediglich mitteilen, dass die Million keine Spende an die CDU sei.
Von diesen Details habe sie nichts gewusst, behauptet Merkel abschließend. Der Fehler sei passiert, bedauerlich, aber sie selbst habe sich deswegen keine Versäumnisse vorzuwerfen. So schnell kann man eine Affäre aufklären.
Eine Stunde später steht die Parteichefin schon wieder vor den Kameras, diesmal mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller an ihrer Seite. Ungestört von lästigen Fragen zur Million aus der Vergangenheit stellen die beiden das CDU-Konzept für eine „Zukunftsfrage unserer Gesellschaft“ vor. (Dokumentation Seite 4) Keine Zahlen, keine Leitkultur, lautete die Verabredung in der Zuwanderungskommission, verrät der Vorsitzende Müller. Zwar regt die Kommission an, die Bundesregierung solle jährliche Einwanderungs-Kontingente für Fachkräfte festlegen, aber Größenordnungen will Müller nicht nennen. „Egal ob ich jetzt drei oder drei Millionen sage, am Ende wird nur über die Zahl und nicht das Konzept gestritten“, sagt er.
Auch auf Reizworte wie „Leitkultur“ sei „im Interesse der Versachlichung der Debatte“ verzichtet worden. Wie zur Entschädigung für Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, der im letzten Herbst den Leitkulturstreit angezettelt hatte, will die CDU aber Einwanderern weiterhin mitteilen, was sie von ihnen erwartet: den Respekt vor Christentum, Humanismus, Aufklärung und Antike. „Alle Einwanderungsgesetze der Welt sind Begrenzungsgesetze“, findet Müller, das müsse auch für Deutschland gelten.
Jetzt sind die beiden in Fahrt und geißeln eine Bundesregierung, die in ihren Augen nichts unternimmt. Die Sozialdemokraten weigerten sich, das Thema Zuwanderung überhaupt anzupacken, kritisiert Müller, denn SPD und Grüne seien sich in vielen Punkten uneins. „Wir sind gesprächsbereit“, sagt der Christdemokrat, „das Problem ist, dass wir zurzeit keinen Gesprächspartner haben.“
Für einen kleinen Moment huschte sogar schon wieder ein Lächeln über Angela Merkels angespanntes Gesicht.
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