piwik no script img

Freistil versus Befehl

Das Panel „Wie wollen wir lernen?“ diskutierte erprobte und gewünschte Varianten einer Schulreform

von CHRISTIAN FÜLLER

„In der Neuen Ökonomie (...) werden die alten funktional und hierarchisch gegliederten Organisationen durch Netzwerke aus vielen kleinen Einheiten mit größerer Autonomie abgelöst.“ (Ulrich Klotz, Zunkunftsforscher, IG Metall)

Der Minister hatte kein Heimspiel. Über zweihundert Leute saßen vor seinem Podium und hörten amüsiert bis spöttisch zu, wie Steffen Reiche (SPD), der Bildungsminister Brandenburgs, seine Schulen lobte. Reiche versuchte die Frage zu beantworten: „Wie wollen wir lernen?“ Im mehr als voll besetzten Saal 6 standen „die Ideen der Reformschulen und die New Economy“ auf dem Programm. Und Reiche musste ertragen, dass die regierungskritische Haltung des Publikums bis hart an die Illiberalität heranreichte – wer schwafelt, wird ausgepfiffen.

Aus dem Publikum skizzierte Kim-Torben Asmussen, wie die Anforderungen der New Economy aussehen könnten. Asmussen ist 21 und schon Leiter für Öffentlichkeitsarbeit. Nicht bei den Deutschen Telephonwerken (DeTeWe), wo er formell als Auszubildender angestellt ist, sondern bei den YoungStars, der Juniorfirma von DeTeWe. Dort, so erläuterte Andreas Krause, Asmussens Ausbildungsleiter und einer der Podiumsteilnehmer, sollen die Azubis die Möglichkeit erhalten, selbstständig zu arbeiten, sie sollen multimedial vorgehen, in kleinen Teams mit Spezialisten kooperieren und ihre Arbeitsergebnisse selbst präsentieren können. Und das funktioniert, wie man an diesem Samstagnachmittag erleben konnte.

Was hat nun die Schule mit der New Economy zu tun? Sehr viel. Beziehungsweise sehr wenig. Denn die alte Schule funktioniert immer noch als klassische Lehranstalt nach dem zentralistisch-hierarchischen Prinzip der alten Industriegesellschaft. Das heißt, sie funktioniert nach Befehl und Lehrplan und kapriziert sich darauf, den Schülern immer wieder zu sagen, „was sie alles falsch machen und was sie alles nicht können“, wie die Leiterin der Laborschule in Bielefeld, Susanne Thurn, beklagte.

Seit 1974 praktiziert die Bielefelder Reformschule eine nichthierarchische Organisationsform von Schule und Unterricht. „Kein Kind“, so Thurn, „darf gelangweilt werden und keines überfordert.“ Zwar gibt es auch dort noch Fächer wie an anderen Schulen, aber die werden sehr häufig durch Projektarbeit abgelöst. In Teams und vom starren 45-Minuten-Takt befreit, finden die Schüler weitgehend selbstständig heraus, warum eine Sache ist, wie sie ist, was sie noch lernen müssen, um sie zu verstehen, und wie sie diese Lernarbeit bewältigen können. Zeugnisse gibt es zwar auch an der Laborschule, doch sie enthalten bis zur achten Klasse nur Lernentwicklungsberichte.

Reicht es, Computer in die Schulen zu stellen und sie ans Netz anzuschließen, wie das aktuelle Rezept lautet, mit dem die Schüler für die New Economy fit gemacht werden sollen? Joseph Weizenbaums Antwort war eindeutig. „Die Einführung des Computers in den Schulen ist eine Katastrophe!“, meinte der Computerexperte und emeritierte Professor der US-Eliteuni MIT. Was, fragte Weizenbaum, lernen die Kinder denn durch den Computer, was sie noch zehn Jahre später anwenden können? Er würde andere Prioritäten setzen: Kinder sollten vor allem ihre Sprache gut lernen. Dann und nur dann seien sie in der Lage, mit der New Economy und anderen Herausforderungen der Zukunft fertig zu werden.

An diesem Grundlagenwissen – Deutsch, aber auch Mathe und Allgemeinwissen – mangele es immer mehr, warnte DeTeWe-Mann Krause. Viele Jugendliche wüssten nicht, wie der Bundespräsident heißt, und versagten beim Bruchrechnen oder bei Dreisatzaufgaben. „Diese Klage“, erwiderte Susanne Thurn, „ist so alt wie die Schule.“ Nicht Wissenslücken seien das Problem; die könne jeder auffüllen, der gelernt hat, wie man sich Wissen aneignen kann. Das Problem sei, dass die Schule Veränderungen braucht, die „die Regierungen noch gar nicht denken können“.

CHRISTIAN FÜLLER, 37, ist taz-Bildungs- redakteur

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen