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Müder Mainstream

Wenig mitreißendes Greig-Stück im Thalia Gaußstraße  ■ Von Karin Liebe

Er wird belächelt und verachtet, doch die meisten sehnen sich nach ihm: dem Mainstream. Bequem ist er, ruhig und sicher. Aber auch er braucht ab und zu frisches Wasser. In David Greigs Stück Mainstream fahndet ein Talentscout für eine große Plattenfirma nach unbekannten jungen Bands. Der Scout trifft sich in einem Hotel am Meer mit der Mitarbeiterin eines Personalberatungsunternehmens. Was rein geschäftlich als Frage-und-Antwort-Spiel beginnt, mündet im Bett und einem erneuten Frage-und-Antwort-Spiel. Diesmal zu Sex und Beziehungen.

Das ist der schnell erzählte Mainstream des Stücks. Erich Sidler hat es jetzt im Thalia in der Gaußstraße inszeniert. Passend zum Thema strömen die Schauspieler auf einem Laufband in einer Art Guckkasten vorm Publikum vorbei (Bühne: Dirk Becker). Nur manchmal treten sie zur Seite auf festen Boden, und nur einmal setzen sie sich auf die schicken weißen Ledersitze hinterm Laufband. Dann verschwimmen die ansonsten klar akzentuierten Dialoge ineinander, und alle reden durcheinander.

Wie immer ist das Spannende nicht der Hauptstrom, sondern es sind die Nebenströme. Der schottische Autor Greig, Jahrgang 1970, spaltet die Zwei-Personen-Geschichte in jeweils einen Mann und eine Frau auf. Der Trick: Die vier Schauspieler wiederholen den Wortstrom in leichten Abwandlungen, sodass sich manchmal eine völlig andere Bedeutung ergibt. Die Frage der Personalberaterin (Fritzi Haberlandt), ob er in seinem Beruf glücklich sei, verneint der Musicscout (Helmut Mooshammer). Er fühle sich als Fürst der Dunkelheit, wenn er den Kids beim Spielen zusehe, sagt er. Als Treiber in den Mainstream. Sein weibliches Pendant (Verena Reichhardt) hingegen schwärmt dem Personalberater (Hans Löw) vor, sie fühle sich als Göttin, wenn sie den Kids beim Spielen zusehe. Als Geburtshelferin für zukünftige Stars.

Natürlich sind alle einsam: die Personalberaterin, die noch nie eine feste Beziehung hatte. Nicht weil der Richtige fehlt, sondern weil sie jeden verachtet, der sie will. Fritzi Haberlandt spielt diese aus dem Ei gepellte Karrierefrau mit präzisem, sparsamen Ausdruck. Keine Berührung ist möglich, den begehrlichen Blicken des Scouts weicht sie in wohl gesetzten Schritten nach rückwärts aus.

Nach einer Stunde versiegt der Wortstrom, das Laufband stockt. Traurig sind wir darüber nicht. Draußen wissen wir, was uns drinnen gefehlt hat: irgendein Gedankenanstoß, ein reinigendes Gewitter im Kopf. Im Freien wiederholt sich das uralte Schauspiel in grandioser Variante: mit blauen Blitzen und Donnergrollen und Wassermassen. Das erstaunt mehr als ein gut gespielter, aber letztlich nichtssagender Mainstream.

Karin Liebe

Nächste Vorstellung: 10. Mai, 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße

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