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Senat will den Osten kahl schlagen

Nach dem Haushaltsloch wegen Verlusten der Bankgesellschaft wird „Wärmestuben“ im Osten, wie Frauenzentren und Migrantenprojekten, das Geld gestrichen. Grüne und PDS fordern eine ersatzlose Rücknahme der Einsparungen

Der Senat entzieht den freien Trägern der Sozial-, Jugend- und MigrantInnenarbeit im Ostteil der Stadt die Gelder. Mit sofortiger Wirkung stellt Sozialsenatorin Gabriele Schöttler (SPD) die Kofinanzierung der öffentlichen Hand für die Personalstellen dieser Träger auf dem zweiten Arbeitsmarkt und die dazu gehörigen Sachmittel für Miete, Telefon und anderes ein, sofern die Arbeitsverträge noch nicht in Kraft sind. Das geht aus einem Schreiben der senatseigenen Servicegesellschaften hervor, das den freien Trägern am Donnerstag ins Haus flatterte. Anders als im Westteil werden im Osten Pflichtaufgaben der öffentlichen Hand im Sozialbereich flächendeckend über den zweiten Arbeitsmarkt realisiert.

Betroffen von den Einsparungen infolge der Haushaltssperre sind gut die Hälfte der 2.000 so genannten SAM-(Strukturanpassungsmaßnahmen-)Stellen, mit denen die soziale Infrastruktur im Ostteil aufrechterhalten wird. Ferner fallen 80 ABM-Stellen für ältere Langzeitarbeitslose im Sozialbereich in der gesamten Stadt dem Rotstift zum Opfer, die erst im vergangenen Jahr geschaffen wurden. Den Ostbezirken werden auch die Projektgelder im Sozialbereich gestrichen, sofern diese laut Haushaltsplan erst im zweiten Halbjahr fließen sollten.

„Das bedeutet für zwölf unserer sechzehn Mitarbeiter das Aus und damit ein Ende unserer Integrationsbemühungen für vietnamesische Jugendliche“, sagt Tamara Hentschel vom Verein „Reistrommel“ in Lichtenberg. Der Deutschunterricht für neu eingereiste Vietnamesen müsste ebenso gestrichen werden wie die Sozialberatungsstelle und der Jugendclub. Auch der Kinderladen müsste sein zweisprachiges Angebot aufgeben und die Öffnungszeiten reduzieren.

Einschnitte bedeuten die Streichungen auch für das Frauenzentrum „Frieda“ in Friedrichshain. Geschäftsführerin Steffi Lehnhardt: „Wir müssten unsere Kinderpension schließen, in der wir die Kinder von allein erziehenden Frauen betreuen, die Schichtdienst arbeiten, beispielsweise von Krankenschwestern.“ Auch die Anlaufstelle für Opfer häuslicher Gewalt müsste ab November dichtmachen.

Vereinen, die antirassistische Arbeit leisten, droht zudem die Pflicht zur Rückzahlung ihrer EU-Gelder. Diese Gelder müssen Vereine mit Eigenmitteln kofinanzieren. Viele Vereine im Ostteil, darauf verweist Ronald Franke vom Verein Publikata, sind gezwungen, ihre ABM- und SAM-Gelder als Kofinanzierung geltend zu machen. Wenn Vereine aus Berlin im nächsten Monat positive Bescheide auf ihre Bewerbung aus dem Xenos-Programm erhalten, mit dem die Bundesregierung aus dem Europäischen Sozialfonds antirassistische Strukturen aufbauen will, können sie das Geld gar nicht abnehmen, weil ihnen der andere Teil der Finanzierung weggebrochen ist.

Klaus-Peter Florian, der Sprecher der Sozialverwaltung, erklärte: „Gabriele Schöttler hält diese Sparpolitik wegen der langfristigen Folgekosten in Form von mehr Sozialhilfe und größeren sozialen Problemen für kontraproduktiv. Aber die Haushaltssperre zwingt sie dazu.“ Personalstellen, die zu mehr als 50 Prozent von der Bundesanstalt für Arbeit oder der EU bezahlt werden, sollen von der Haushaltssperre ausgenommen sein, so Florian. Am Montag wird die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände über angemessene Proteste beraten. Bündnisgrüne und PDS fordern eine ersatzlose Rücknahme der Einsparungen. „Sonst bricht die Infrastruktur im Sozial- und Jugendbereich im Ostteil der Stadt zusammen“, sagt Jeanette Martins von den Grünen. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Christa Luft erklärte: „Für den Milliardenschaden der CDU-Seilschaften sollen nun Arbeitsmarktpolitik und soziokulturelle Angebote ausbluten.“

MARINA MAI

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