: Tausendundeine Nacht
. . . und es hat Boom gemacht! Immer mehr Radtouristen wollen in Hotels übernachten
„Machen Sie das nicht noch mal! Radfahrer für eine Nacht wollen wir nicht.“ So die Hotelwirtin zu ihrer Angestellten. Diese hatte sich erlaubt, den Radtouristen Lothar L. für eine Nacht aufzunehmen, der dann unfreiwilliger Zeuge dieser Auseinandersetzung wurde. Seitdem will er dieses Hotel nicht mehr empfehlen. Für ihn besonders pikant: Es geschah im Wendland, in einer Region, die ansonsten um Radreisende heftig buhlt. Offensichtlich gibt es immer noch Unterkünfte, die Menschen auf dem Fahrrad als minderbemittelt einstufen. Modell Taugenichts auf Tour.
Doch der Wind hat sich längst gedreht. Was die Radler betrifft, um 180 Grad: Heute fahren sie ganz oben mit, sagt der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club), lieben ihr Hightech-Bike, bevorzugen hochwertige Herbergen und lassen sich das auch was kosten. Nach der Radreiseanalyse 2001 des Radclubs übernachtet die mit Abstand größte Gruppe aller Radtouristen im Hotel – nämlich 28 Prozent.
Allerdings: Hotel ist nicht gleich Hotel. Fahrradfreundlich soll es sein. „Viele Radtouristen nehmen bereits ein Vierteljahr vorher die Anlage genau unter die Lupe“, so Hans-Peter Thurm-Meyer, Hotelier im norddeutschen Wildeshausen. Sein Etablissement kann sich sehen lassen – es ist notiert im ADFC-Qualitätsverzeichnis „Bett & Bike“.
Derartige Spezialisten sind erkennbar an der Plakette „Ich bin ein Bett & Bike-Betrieb“. Einige Bedingungen, diese zu erhalten, sind: Radfahrern ohne Murren auch für nur eine Nacht Unterschlupf gewähren, einen abschließbaren Raum für die Räder anbieten, dazu Trockenmöglichkeit für Kleidung , ein reichhaltiges Frühstück oder eine Kochgelegenheit, Radwanderkarten, Reparatursets und radlerspezifische Infos.
Außerdem gehören noch mindestens zwei Extras zum Programm. Die gängigsten: Lunchpaket und eigens erstellte Radwanderkarten. „Wir sind die Tagestouren selbst abgefahren, was so richtig Spaß gemacht hat“, erinnert sich Detlef Pauls, Mitinhaber des fahrradfreundlichen Ringhotels Munte am Stadtwald in Bremen und seit Jahren aufgenommen in der „Bett & Bike“-Gemeinde.
Der Dienst am Radtouristen – der Renner in der Hotelbranche. Immerhin hat sich die Zahl der Gastbetriebe in „Bett & Bike“ innerhalb von sechs Jahren verzehnfacht. Waren im ersten Verzeichnis von 1995 lediglich 216 fahrradfreundliche Quartiere aufgeführt, so sind es jetzt bereits 2.880. Radfahrer tun Hotels eben gut, so die Meinung von Detlef Pauls: „Wir planen gerade eine Fahrradroute, die alle 153 Hotels unserer Kette verbindet.“
Ideenverwirklichung im Kleinen, was der ADFC im Großen plant: ganz Deutschland für Radtouristen befahrbar zu machen. Schluss mit den Grauzonen in Erzgebirge und Harz. Den Radtouristen hinterher. Denn denen genügen die Flachlandrouten längst nicht mehr. „Unser Ziel: Abstände von 30, höchstens 40 Kilometern zwischen allen Fahrradhotels“, so Wolfgang Reiche, verantwortlicher Redakteur der ADFC-Erfolgsstory „Bett & Bike“.
Eine Expansion, die kontrolliert vonstatten gelten soll. „Schwarze Schafe unter den Hotels haben kaum eine Chance“, verspricht Reiche. „Wir überprüfen teilweise undercover. Konkreten Beschwerden gehen wir nach und geben ausreichend Gelegenheit, die Mängel zu beseitigen.“ Was meistens problemlos klappe. Aber auch wenn’s gefallen hat, laufe viel über Mundpropaganda, stellt Hans-Peter Thurm-Meyer fest: Seit sein Hotel die ADFC-Plakette trägt, kommen viele Gäste wieder und geben den Tipp weiter.
Und das Hotel im Wendland? Hätte seine Chefin nicht rumgemosert, wäre es von Lothar L. weiterempfohlen worden. Und bei noch etwas Anstrengung mehr könnte es schon bald ehrenwertes Mitglied der illustren „Bett & Bike“-Gesellschaft sein.
UTA GELLERT
„Bett & Bike. Fahrradfreundliche Gastbetriebe in Deutschland“ erscheint im Verlag Esterbauer (19,80 DM). Für die Bundesländer Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen sowie Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland (gemeinsam) sind eigene Verzeichnisse erhältlich.
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