: Die junge Garde der GEW steht auf
Auf dem Kongress der Erziehungsgewerkschaft in Lübeck bahnt sich ein Konflikt um die Pflichtstundenzahl an
BERLIN taz Einerseits freut sich Andrea Marschall auf den bevorstehenden Großen Gewerkschaftstag der GEW in Lübeck.
„Wir sind sehr gut vorbereitet“, sagt die 33-jährige Lehrerin, und sie meint damit ihre „Junge GEW“. Der Gewerkschaftsnachwuchs hat es geschafft, ein unter Pädagogen umstrittenes Thema auf die Tagesordnung des Konvents der mächtigen Lehrergewerkschaft (270.000 Mitglieder) zu setzen: Die Arbeitszeit der Lehrer. Doch das GEW-Establishment mauert. Das Thema Arbeitszeit soll zwar diskutiert werden – aber das Konzept der Jungen GEW will die Antragskommission nicht zulassen.
Der Gewerkschaft steht auf ihrem viertägigen Treffen nicht nur ein Generationenkonflikt bevor – auch programmatisch geht es ans Eingemachte: Der Frankfurter Hauptvorstand will das bislang allein selig machende Ziel der GEW, die integrierte Gesamtschule, durch andere Schulformen ergänzen – ob die Basis da mitmacht, bezweifelt selbst die Gewerkschaftsspitze. Und mit der Lehrerarbeitszeit haben die Jungen Erziehungsgewerkschafter nun ein weiteres Reizthema geliefert.
Die Jung-GEWler um Andrea Marschall, Michael Petin (NRW) und Ulrich Büchs (Berlin) wollen, dass der Lehrerjob nicht mehr auf die vor der Klasse abgehaltene Pflichtstundenzahl reduziert wird. Dieses so genannte Stundendeputat, dass je nach Bundesland und Schulform zwischen 23 und 28 Stunden pro Woche liegt, ist aber der einzige Maßstab, den die GEW bislang gelten lässt. „Es ist eine Lebenslüge der Gewerkschaft, immer nur darauf zu setzen, dass die Zahl der Pflichtstunden gesenkt wird“, sagt hingegen Marschall. Das Konzept des Nachwuchses sieht weit reichende Veränderungen vor: Die Lehrerarbeitszeit soll künftig aufs ganze Jahr berechnet werden. Das schließe alle Tätigkeiten der Pädagogen wie Schulkonferenzen, Elterngespräche, Fortbildung mit ein. Und es helfe das extreme Auf und Ab der Arbeitsbelastung von Lehrern zwischen Schul- und Ferienzeit auszugleichen, meint die Junge GEW. Der Versuch der Antragskommission, das Thema Jahresarbeitszeit aus dem Plenum zu bugsieren, ärgert die Junggewerkschafter. „Wir haben eine gute Idee, und wir wollen, dass diese Gewerkschaft endlich mal darüber diskutiert.“ Zumal die GEW mit dieser Idee der Anschluss an aktuelle Debatten fände – so ließen sich die geforderten Lehrerpraktika in Betrieben leichter realisieren, wenn dafür die bisherige „Ferienzeit“ genutzt werden würde. Auch Fortbildungen und Kooperationen mit Lehrern könnten in dieser Zeit besser abgewickelt werden. Ob sich die GEW darauf einlässt, wird sich am Montag zeigen. Marschall und ihre Jungkollegen hoffen darauf, dass der Gewerkschaftstag empfiehlt – anders als die Antragskommission – sich auf ihr Thema einzulassen.
CHRISTIAN FÜLLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen