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Nicht einmal ein Geheimnis

■ „Verlassene Eltern“ heißen Menschen, deren Kind sich monate-, gar jahrelang nicht meldet. Ein VHS-Seminar hilft, Schuldzuweisungen zu lassen und Grenzen zu akzeptieren

Ein Leben versaut. „So ein großer, stattlicher Mann. Dass der sein Leben so versaut.“ Das sagt Maria Schmidt*. Sie ist die Mutter. Von ihrem Sohn hört sie nur gelegentlich. Neulich war er mal da, an ihrem Geburtstag. Da brachte er Champagner. „Champagner. Wenn er was macht, hat das immer Stil.“ Sie saßen zusammen, eine Freundin war auch dabei. Die sagte nachher zu Maria Schmidt: „Ich weiß gar nicht, was du hast.“ Als die Freundin ging, stand auch der Sohn auf – weg war er. „Vor August höre ich nichts von ihm.“ Und das ist schon viel. Maria Schmidt hat schon mal zwei Jahre von ihrem Sohn nichts gehört.

Sie gehört zu den „verlassenen Eltern“ – so heißen die Mütter und Väter, deren Kinder sich abwenden und monate- oder jahrelang jeden Kontakt ablehnen. Ein Seminar der Volkshochschule am kommenden Freitag und Samstag soll solchen Eltern helfen, mit der Situation besser zurecht zukommen.

Bei Maria Schmidt, 64, begann die Geschichte, als der Sohn auszog. „In eine WG, da fing das an“, erinnert sich die Mutter. Probleme sich einzufügen habe der Sohn gehabt. „Ganz schlimm war auch diese antiautoritäre Erziehung. Dafür hasse ich heute den Staat“, sagt die 64-Jährige, „ich hatte ja nichts mehr zu sagen.“ Der Sohn machte eine Lehre, hatte nach der Halbzeit keine Lust mehr, für wenig Geld dieselbe Arbeit wie die fertig Ausgebildeten zu machen, zog auf eigene Faust seine Prüfung vor, bestand – und wird vom Meister rausgeschmissen. Als er später wieder einen Job hat, aber weniger arbeiten möchte, fliegt er erneut.

Stationen eines Lebens, das Maria Schmidt nur sporadisch beobachten kann, an das sie aber täglich denkt. „Schlimme Stunden“ habe sie gehabt. Weihnachten. „Man hörte in den Familien immer, die Kinder kommen, und ich wusste nicht, was mein Sohn macht.“ Die anderen könnten denken, sie wolle etwas verheimlichen. „Aber ich hatte nicht mal was zu verheimlichen.“

Nun, wo auch ihr Sohn älter wird, scheint Annäherung möglich. „Dass die Zeit weggelaufen ist, dass man's falsch gemacht hat“, das spüre ihr Sohn nun, ist sich Maria Schmidt sicher. Bisher reden sie wenig und nur unter Spannung miteinander. „Ich frage nichts“, sagt die Mutter, „denn wenn ihm was nicht passt, steht er auf und geht.“ Manchmal erzählt sie etwas. „Das habe ich nicht gewusst“, sagt da der Sohn. „Du weißt manches nicht“, erwidert die Mutter. Aber zwischen den Vorwürfen klingt Zuneigung mit. Nie habe er um Geld gebeten. „Und in all dem Chaos hat er sich irgendwie eine bestimmte Würde bewahrt.“

Es gibt andere Geschichten. Anne Müllers* Sohn meldet sich seit neuestem überhaupt nicht mehr. Jetzt überlegt sie, sich mit einem Wohnmobil vor seiner Wohnung zu postieren und zu beobachten. „Obwohl ich keinen Führerschein habe.“ Aber wenn dann die Polizei käme, ihren Führerschein sehen wollte, und ihr Sohn bekäme das mit – könnte ja sein –, dann sei alles aus. Täglich ist sie bis vor kurzem an seiner Wohnung vorbeigegangen, mal mit Hut, mal mit Rucksack, immer anders. Stets abends, wenn es dunkel war. Seit Wochen sieht sie kein Licht mehr, aber der Briefkasten werde wohl geleert. Der Strom ist abgestellt, da ist sie sicher. Am liebsten würde sie die Wohnung aufbrechen lassen. „Aber wegen mütterlicher Sorge die Wohnung aufbrechen, das macht ja keiner.“

Vertrauen, dass ihr Sohn sein Leben schon meistern wird? „Wenn da jetzt Licht wäre, dann würde ich sagen: ja“, antwortet Anne Müller, „aber wenn einer kein Licht hat, dann kann da nichts sein.“ Sie träumt davon, dass ihr Sohn längst woanders – besser – wohnt, dass er die ihr bekannte Wohnung nur noch als Abstellraum nutzt. Nie in ihrem Leben sei sie einem Menschen hinterhergelaufen, erzählt die 67-Jährige, und den Dickkopf habe der Sohn von ihr geerbt. „Nun will es die Ironie des Schicksals, dass ich ihm hinterherlaufe.“

Zu wissen, anderen geht es ähnlich, habe gut getan, berichten Anne Müller wie Maria Schmidt, die bereits ein VHS-Seminar, wie es nun wieder stattfinden soll, hinter sich haben. Gutes können sie ihrer Situation kaum abgewinnen. Dabei ist auch das Thema des Seminars, „mal das Gute zu sehen“, erklärt Monika Klesch, Pädagogin mit familientherapeutischer Ausbildung. Vielleicht die Ruhe statt des Streits zu schätzen. Das Ende der Enttäuschungen statt deren dauernde Wiederkehr. Sie will versuchen, die Eltern ein bisschen vom Täter-Opfer-Schema wegzubringen, davon, Schuld zu spüren oder zuzuweisen. Und die ihnen ganz offenkundig gesetzten Grenzen zu akzeptieren. sgi

*Name geändert

Das Seminar findet am Freitag, 11. Mai, von 19 bis 22 Uhr und am Samstag, 12. Mai, von 10 bis 16 Uhr statt und kostet 60 Mark pro TeilnehmerIn. Anmeldung unter Tel.: Tel.: 361 36 58.

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