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„Ich habe Angst vor Michelle“

Interview JAN FEDDERSEN

taz: Sie sehen wirklich toll aus, Michelle.

Michelle: Danke. Von Männerseite ist es schon so, dass die sagen, die sieht gut aus.

Andere sagen, Sie seien zu perfekt. Ihre Achseln seien die glattest rasierten der Welt.

Süß. Ich habe wenig Haarwuchs, da denkt man das vielleicht.

Achseln wie Ihre wirken auf manche Männer sehr sexy.

Mir ist schon bewusst, mit was man spielen kann. Ich kenne mich von meinen eigenen Auftritten ja sehr gut. Mit der Kamera umgehen, sich gut hinstellen, im entscheidenden Moment gucken – das ist eben mein Job. Das gehört dazu, wenn man Menschen berühren will.

Job? Das klingt nach einer Arbeiterin des Schlagers.

Michelle steht auf der Bühne, und dort weinen viele Menschen, weil sie sich in meinen Songs wiedererkennen. Zu Hause aber, und das ist für mich das Wichtigste, bin ich für meine Kinder die Mami und für meine Freunde Tanja.

Sind Sie dort natürlich?

Ich bin überall natürlich.

Was bedeutet das Wort „natürlich“ für Sie?

Die menschliche Seele darf nicht fehlen. Und die lege ich ja nicht weg, wenn ich auf die Bühne gehe. Was ich meine, ist, wenn man mal abkratzt mit der Stimme, da merken die Leute, da ist ein Mensch. Nichts ist perfekt. Ich auch nicht.

In Milieus, die mit grüner Kulturkritik groß geworden sind, gelten Sie als unecht, als künstlich.

Natürlich ist es nicht „natürlich“, sich die Brust vergrößern zu lassen und die Haare zu blondieren. Aber wir leben in einer Zeit, wo das möglich ist. Für mich ist „natürlich“, dass ich nicht glatt bin, nicht kalt im Gesicht, nicht wie eine Maus piepse. Ich habe diese Wärme in den Augen. Ich empfinde, was ich singe.

Glauben Sie an das, was Sie singen?

Ja, uneingeschränkt. Ich glaube an die Liebe. Und damit meine ich nicht nur Partnerschaften. Sondern alles im Leben, was Kraft gibt. Es gibt Positives und Negatives in der Liebe. Hass, Kummer, Leidenschaft, Hingabe, einfach alles.

Hass? In der heilen Schlagerwelt?

Ach, die Schlagerwelt ist nicht heil. Das denkt man nur. Die Fans von Michelle empfinden meine Lieder genau so. Mit allen Gefühlen. Die würden mich nie akzeptieren, wenn ich nicht an das glauben würde, wovon ich singe. Die sind nicht zu belügen.

Vergrößerte Brüste oder gefärbte Haare ...

... sind doch bloß äußerlich. Aber blonde Strähnen machen einen so frisch. Meine Seele ist natürlich, mein Herz auch. Das kann ich zeigen.

Sind Sie nicht auch ein Rollenmodell, Michelle? Als allein erziehende Mutter, die ihr Leben selbst bestimmt. Alice Schwarzer müsste stolz auf Sie sein.

Um Gottes willen, so sehe ich mich nicht. Ich bin eigentlich sehr altmodisch. Es ist wunderschön, auf der Bühne zu stehen und dort zu arbeiten. Trotzdem ist es das Schönste, zu Hause bei meinen Kindern zu sein.

Und schön zu kochen und dem Mann eine liebende Gemahlin sein? So wie früher?

Damals waren die Frauen noch sehr unterwürfig. Die Männer waren die Könige, und die Frauen mussten machen, was die Männer erwarteten. Wir sind in einer anderen Zeit. Aber gewisse Dinge fand ich gut.

Welche?

Ich finde es zum Beispiel furchtbar, wenn man einen Partner hat, in einer Kneipe sitzt, und der Mann möchte ins Bett. Dann hat die Frau mitzugehen.

Warum das denn?

Ja, weil es nichts Schlimmeres gibt als allein an der Hotelbar herumzuhängen. Als Frau.

Was würden Sie antworten, wenn ein neuer Partner Ihnen sagen würde: Darling, ich verdiene genug, du brauchst nicht mehr zu singen?

Gar nicht mehr arbeiten? Keine Ahnung. Ich weiß nur: Wenn ich genügend Geld hätte, würde ich sofort aufhören zu singen.

Nicht mehr auf der Bühne Applaus empfangen?

Nein. Sowieso möchte ich nur bis 40 singen. Dann ist Schluss.

Was ist genügend Geld?

Mehr, als ich jetzt habe. Aber sobald ich 40 bin, kümmere ich mich nur noch um die Dinge, die mich absolut erfüllen. Für meine Kinder da sein. Ziele zu verwirklichen, die ich noch habe.

Welche Ziele sind das?

Ich bin ein absoluter Kindermensch. Es gibt keine schönere Aufgabe, als einem Menschlein so viel mit ins Leben zu geben, dass es wirklich positiv und mit voller Kraft dastehen kann.

Was folgt daraus?

Ich möchte ein Mädchen aus Indien adoptieren. Und in Köln, wie in jeder großen Stadt, eine Babyklappe eröffnen.

Wäre es Ihnen selbst vielleicht sogar lieber gewesen, wenn Sie als Säugling in einer Babyklappe abgegeben worden wären?

Meine Mutter war nie schlecht zu mir. Getrunken hat sie, ja. Meine Eltern haben sich viel geprügelt. Aber als Kind denkt man, das ist normal. Dann habe ich mich bei meiner Schwester unter die Bettdecke verkrochen. Erst in anderen Familien habe ich gemerkt, wo ich mich viel wohler gefühlt habe, dass es so etwas wie Harmonie gibt.

Das fanden Sie nicht so furchtbar?

Erst lange Zeit danach. Aber ich bin im Grunde meinen Eltern dankbar: So wurde ich stark, wie heute – und das, was ich bin. Und so weiß ich heute, was ich nicht machen will. Bei uns zu Hause wird nicht geprügelt und nicht geschrien.

Gibt es Politiker, vor denen Sie Respekt haben, Michelle?

Oh, nein, wirklich nicht. Die sind viel zu weit weg von den Menschen. Die Kinderpolitik. Immer nur Sprüche. Dann die Obdachlosen. Warum müssen in Deutschland Menschen ohne Wohnung sein? Warum werden sie aus den Städten vertrieben?

Damit die Städte makellos aussehen.

Ja, ist das nicht furchtbar? Selbst die öffentlichen Toiletten sind verdreckt. Wenn ich mit Celine dort mal auf die Toilette will, denke ich, nein, da holt sie sich ja alle Krankheiten am Popo. Warum gibt es dort nicht wenigstens Duschen für Menschen, die keine Wohnung haben?

Die Politiker ...

... ach, die wissen doch nicht, wie die Menschen wirklich leben. Plötzlich findet sich irgendwo ’ne Million – und dann wird so getan, als sei das kein Geld. Wissen die überhaupt, dass das viel, sehr viel Geld ist? Wie viele Spielplätze könnte man davon bauen? Gute Spielplätze, nicht solche furchtbaren, wie es sie viel zu oft gibt.

Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, mal andere Sachen zu singen, Michelle?

Wenn ich mal was ändere, dann nur so langsam, dass das Publikum das kaum merkt. Madonna hat auch lange gebraucht, ehe sie „Like A Virgin“ gegen „Frozen“ eintauschen konnte. Ich kann es jetzt mal fraulicher, erotischer versuchen, als Vamp – aber so hätte ich vor zehn Jahren nicht sein können. Ich habe lange gebraucht, um anderes machen zu können – sonst wird man unglaubwürdig.

Warum überhaupt diese Altersbeschränkung? Tina Turner ist doch auch erst mit 50 richtig groß geworden.

Schrecklich. Um Gottes willen.

Auf Oldietourneen gibt es gutes Geld zu verdienen.

Furchtbar, einfach schlecht, billig, und – es will dann keiner mehr hören.

Haben Sie Namen parat?

Nein, aber diese Schlagersänger, die noch mit fuffzig, sechzig auf der Bühne stehen! Auf Mallorca mich verheizen lassen? Niemals, grauenvolle Vorstellung. Gruselig. Da sitzen dann Schlagermänner, ihre Frauen warten zu Hause, hauen sich morgens die Cognacs rein und warten darauf, dass sie von Weibern angebaggert werden. Und auf ihrer Stirn steht: Nehmt mich! Das ist nichts für mich.

Jeder lebt, wie er kann.

Ich kann anders. Das sind Menschen, die sind nicht angekommen.

Was meinen Sie damit?

Familie und glücklich sein. Einen Sinn im Leben sehen. Nicht einsam sein. Menschen, die einen lieben, um sich herum haben. Ankommen. Das ist das Allerwichtigste. Einfach ankommen.

Wollen Sie in Kopenhagen gewinnen?

Ja und nein.

Ja?

Jeder, der hier mitmacht, will gewinnen.

Und nein?

Weil ich nicht weiß, was auf mich einstürzen würde. Das wird ja schon schwierig, am Sonntag den Flug umzubuchen.

Warum?

Weil ich Celine versprochen habe, am Sonntagvormittag in München zu sein. Aber die Siegerpressekonferenz findet Sonntagmittag statt.

Wäre das nicht in Kauf zu nehmen?

Wenn ich gewinne, dann wäre die Welt so groß. Und ich habe Angst davor, dass Michelle das Leben der Tanja Hewer erdrückt.

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