: Ein Dorf kämpft gegen den Krieg
In Romanovce, nur fünf Kilometer von der Kampfzone im Norden Makedoniens entfernt, haben Makedonier und Albaner seit jeher zusammengehalten. Das soll auch jetzt so bleiben. Doch auf beiden Seiten wächst die Angst vor einer Gewalteskalation
aus Romanovce ERICH RATHFELDER
In der Ferne dröhnt die Artillerie. Bekir Shabadini zuckt zusammen. Drüben, am Fuße der von Wolken umhangenen Berge, sind die Einschläge der Granaten zu sehen. Rauch steht über dem Dorf Slupcane. Trotz des vereinbarten Waffenstillstands und der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, die heute ihre Arbeit aufnehmen soll, gehen die Angriffe der Armee auf jene Dörfer, in denen Stellungen der UÇK vermutet werden, weiter. „Gott sei Dank ist in unserem Dorf Romanovce noch nichts passiert. Denn hier halten wir zusammen, die Albaner und die Makedonier“, sagt Shabadini.
Der rundliche, 42-jährige „albanische Makedonier“, wie er sagt, weist auf das weitläufige Dorf. An der Hauptstraße erhebt sich die orthodoxe Kirche, dahinter die Moschee. Wir treten in eine Gasse. Das erste Haus, das von einem Garten umgeben ist, gehört Blaze Sazdovsci. Dessen Mutter ist mit Bekirs Mutter befreundet. Das nächste Haus ist nach Sitte der Albaner von einer Mauer umschlossen und gehört einem Verwandten Bekirs. Muslime und Orthodoxe wohnen hier seit Jahrhunderten zusammen. Auf dem Schulhof spielen Kinder. „Alle gehen auf die gleiche Schule. Nur die Klassen sind wegen der Sprachen getrennt.“
„Wir in Romanovci“, so sagt auch Betula Bajrami, der Bürgermeister, haben nie Schwierigkeiten miteinander gehabt.“ 5.000 Menschen lebten hier, davon 55 Prozent Albaner, sagt der groß gewachsene Mann. Die Hälfte der 550 Häuser des Orts gehört slawischen Makedoniern. Er lacht. „Die Albaner haben ein paar Kinder mehr.“ Und Sasa Petrović, sein Stellvertreter, ein junger Mann, der sich zur serbischen Minderheit am Orte zählt, stimmt zu. „Unsere Eltern haben uns gelehrt, dass wir zusammenhalten müssen.“ Schon während der Balkankriege und des Ersten und Zweiten Weltkriegs hätten sich die beiden Bevölkerungsgruppen gegenseitig geschützt.
Beide sitzen in dem schäbigen Gemeindehaus, dessen wacklige Stühle von der Armut des Dorfes zeugen. Die meisten Bewohner haben keine Arbeit. Jede Familie besitzt etwas Land, ein paar Kühe, Schafe oder Schweine. Glücklich ist, wer einen Verwandten im Ausland hat. Der Besitzer des Hauses mit dem Garten war Lkw-Fahrer, jetzt ist seine Firma in Skopje pleite gegangen. „Alle leiden hier unter der Arbeitslosigkeit“, sagt der Bürgermeister. Und er deutet damit einen der Gründe für die wachsenden Spannungen an.
Auf der Hauptstraße reißt der Strom der Autos nicht ab. Die voll bepackten Autos kommen aus dem Gebiet um Lopate, Slupcane und Vakcince oder den Bergregionen an der Grenze zu Kosovo. Es sind Flüchtlinge, die versuchen, in sichere Landesteile zu gelangen. Die rund dreißig Mitglieder der Großfamilie Saiti sind hier im Dorf bei einem Verwandten untergeschlüpft. Jetzt sitzen die Frauen weinend im Wohnzimmer und halten die Kinder dicht an sich gedrückt.
Am Montag, nach dem Beschuss durch Artillerie seien sie wie die anderen Bewohner ihres Dorfes Lopate, unter ihnen Albaner und Makedonier, dem Aufruf der Regierung gefolgt und hätten das Dorf verlassen. „Als wir zu dem Kontrollpunkt der Polizei gekommen sind, wurden wir von maskierten Polizisten aufgehalten.“ Die slawischen Makedonier durften weiterfahren, die Albaner mussten warten. „Dann holten sie uns Männer aus den Autos und schlugen uns mit Gewehrkolben“, sagt einer der Söhne, der noch immer ein geschwollenes Auge hat. Die Polizisten zielten besonders auf die Genitalien. Zwei der jüngeren Brüder müssten in ärztliche Behandlung. Sie trauen sich aber nicht, zu dem Arzt im Dorf zu gehen, weil der Makedonier ist.
Der Gemeinderat tagt. Hier soll so etwas wie in Lopate nicht geschehen, hier soll weiter Frieden herrschen, so beschwören sich die Mitglieder. Da ist der Direktor der Schule, ein Makedonier, der an die Eltern appelliert, die Kinder zur Schule zu schicken, um nicht den Eindruck eines Ausnahmezustands entstehen zu lassen. Da ist der Vorsitzende der islamischen Gemeinde, der mit seinem Kollegen von der orthodoxen Gemeinde eindringlich beide Seiten auffordert, Störenfriede unter Kontrolle zu bringen. Einig ist man sich, dass die Polizei im Ort nichts zu suchen hat. Käme sie, so sagt ein Gemeinderat, würden wie in Lopate nur Probleme geschaffen: „Dort hat die Polizei die Bevölkerung getrennt und selektiert.“
Trotz der Beschwörung der Gemeinsamkeit hat jede Seite Angst. Bekir hat sie, Blaze auch. Nach der Sitzung treffen sie sich in Blazes Haus. Sie reden von dem kribbeligen Gefühl in der Magengegend, dem Misstrauen, das beide Seiten erfasste, als am Dienstag ein Schuss zu hören war. Es stellte sich heraus, dass ein Nachbar nur einen Hund erschossen hatte. Als aber Tags darauf ein zweites Mal geschossen wurde, seien sie wieder zusammengezuckt. Noch ist unklar, wer dafür verantwortlich ist. Der Bürgermeister vermutet, dass der Schuss von einem Nachbarn kam, einem Makedonier, der im Dorf ein Außenseiter ist. „Jede Provokation kann zur Katastrophe führen“, sagen Bekir und Blaze. Einige hundert Albaner, „Nicht-Alteingesessene“, sagen beide, hätten das Dorf verlassen. Doch den Appell des Direktors, die Kinder wieder zur Schule zu schicken, befolgen die meisten Gebliebenen. Die Bauern arbeiten wieder auf die Feldern. Es herrscht Ruhe in Romanovsce. In der Ferne donnert die Artillerie.
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