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Die Aufsteigerin

aus Wellington MICHAEL LENZ

Bei seinem gerade zu Ende gegangenen Staatsbesuch in Neuseeland ist Bundespräsident Johannes Rau vielen Frauen begegnet. Denn die höchsten Positionen im Land der weißen Wolke, so die Übersetzung des Maori-Namens Aoteaora, sind mit Politikerinnen besetzt.

Seit Anfang April ist Dame Silvia Cartwright die Generalgouverneurin Neuseelands und damit Stellvertreterin der englischen Königin, die Staatsoberhaupt ist. Als Premierministerin regiert seit Dezember 1999 die Labour-Politikerin Helen Clark. An der Spitze der größten Oppositionspartei, der National Party, steht die ehemalige Ministerpräsidentin Jenny Shipley. Christine Fletcher ist Bürgermeisterin in der Metropole Auckland. Und dann gibt es noch die „Supreme Queen“: die sozialdemokratische Abgeordnete Georgina Beyer.

Die 1957 als George Betrand in Wellington geborene „Höchste Königin“ war bis vor gut zehn Jahren hauptsächlich in den Rotlichtvierteln von Auckland, Wellington und Sydney bekannt. „Andere Jobs kamen für unsereins damals nicht Frage“, erinnert sich Beyer. Gelegentlich unternahm sie Abstecher ins seriöse Showgeschäft. Für ihre Rolle in dem Kurzfilm „Jewel Star“, der einen Tag im Leben einer Transsexuellen zeigt, wurde sie von der Jury des neuseeländischen Filmpreises Gofta als beste Schauspielerin nominiert. Doch eine wirkliche Filmkarriere blieb aus. „Ich wurde fast immer nur für Rollen als Prostituierte oder Drag Queen gefragt.“

Angst vor der Legalisierung

Mitte der Achtzigerjahre befand sich die konservative Farmer- und Bauerngesellschaft der weit abgelegenen Pazifikinseln im Umbruch. Erbittert wurde die Legalisierung von Homosexualität diskutiert. „1985 hatten die Menschen Angst, die Entkriminalisierung der Homosexualität werde die Gesellschaft tief greifend und sehr negativ verändern. Heute wissen wir, dass die Gesellschaft tatsächlich tief greifend verändert wurde. Sie ist sehr viel toleranter und offener geworden“, erinnert sich Peter Wells, der Regisseur von „Jewel Star“. Er habe damals zwei Jahre mit den Zensurbehörden des Landes ringen müssen, bis der Film im Fernsehen gezeigt wurden durfte. „Es war den Fernsehgewaltigen lange Zeit nicht akzeptabel, dass ein Film Transsexuelle und Transvestiten nicht als komische, verschrobene, gefährliche oder bestenfalls bedauernswerte Wesen zeigt, sondern sie ernst nimmt“, sagt Wells.

Es dauerte noch einmal vier Jahre, bis 1991, bis Georgina Beyer eine politische Karriere begann, die sie von der Aktivistin bis zur international bekannten Parlamentsabgeordneten aufsteigen ließ. Heute ist sie Schwulenaktivisten und Transsexuellen ebenso ein Begriff wie Königin Elisabeth II. oder UNO-Generalsekretär Kofi Annan.

Anfang der Neunzigerjahre hatte Beyer zusammen mit einer Kollegin ein Engagement in einem Travestieklub in der Hauptstadt Wellington. Doch sie hatte genug vom Leben in der Stadt und fand im nicht weit entfernten Carterton eine ruhigere Bleibe. In der Kleinstadt lief sie einem Bekannten aus Auckland über den Weg, der ihr einen Job als Schauspiellehrerin im Gemeindezentrum anbot. Durch die Arbeit dort „wurde mein soziales Gewissen geweckt“, erinnert sich Beyer, die sich gegen Kürzungen im Sozialetat von Carterton stark machte. Ihre Mitstreiter waren beeindruckt von ihrer Vehemenz und ihrem Geschick und überredeten sie zu einer Kandidatur für einen Sitz im Stadtrat. Entgegen der Erwartungen wurde sie von den Bauern und Schafzüchtern gewählt, die sie 1995 gar zu ihrer Bürgermeisterin kürten.

In Beyers erstem Wahlkampf waren ihre Transsexualität, ihre Vergangenheit als Prostituierte und ihre Geschlechtsumwandlung ein großes Medienthema. Die von Maoris abstammende Beyer outete sich selbst, so wie sie auch vor ihrer Wahl zur Parlamentsabgeordneten im November 1999 ihre Biografie „A Change For A Better“ veröffentlichte. „Die Wähler haben jedes Recht, genau zu wissen, wer sich um ein Mandat bemüht“, findet Beyer.

Das Verhältnis zu ihrer Familie ist distanziert. Ihre engste Freundin ist seit den Tagen des Coming-Out die opulente Carmen. Die heute 65-Jährige, die schon in den prüden Fünfziger- und Sechzigerjahren als Transsexuelle in ganz Neuseeland bekannt war, ist „unsere Stammesälteste“, sagt Beyer.

Offene Anfeindung wegen ihrer Transsexualität erfährt Georgina Beyer nicht. In den Anfängen als Aktivistin gab es hinter vorgehaltener Hand Getuschel, aber schon damals getraute sich niemand, Beyer mit offener Ablehnung zu begegnen. „So weit es ihre politische Arbeit betrifft, war für mich die Tatsache, dass sie eine transsexuelle Frau ist, nie von Bedeutung“, beteuert Wyatt Creech, ein hochrangiger Politiker der National Partei und politischer Gegner von Georgina Beyer. Ein Geschäftsmann aus Carterton, der seinen Namen nicht genannt wissen will, sagt: „Anfangs war ich der Meinung, so eine gehört ins Gefängnis. Aber dann haben mir doch mit der Zeit ihr Mut und ihre Offenheit imponiert.“ Ein Rest von Vorurteil bleibt: „Eine Transsexuelle als meine Repräsentantin zu wählen, nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Georginas Gegner“, ist sich Peter Wells sicher, „trauen sich nicht aus der Deckung heraus. Dazu ist Georgina zu beliebt.“ Aber die „Betonköpfe“ lauerten nur darauf, dass „Georgina einen falschen Zug macht“.

Die heutige Ministerpräsidentin Helen Clark brauchte zwei Anläufe, um Beyer zum Einstieg in die landesweite Politik zu überreden. „Das erste Mal habe ich abgelehnt. Ich war glücklich in meinem Job als Bürgermeisterin.“ Im Herbst 1999 gab Beyer dem Werben der Labour-Politikerin nach. Die Rechnung Clarks, die mit der Kandidatur der Transsexuellendie Weltoffenheit ihrer Partei unterstreichen wollte, ging auf. Georgina Beyer eroberte in dem lange als Hochburg der Nationalpartei geltenden Wahlkreis Wairarapa das Direktmandat. Ihre politischen Schwerpunkte sind Menschen- und Bürgerrechte, die Agrar- und die Umweltpolitik.

Keine neue Amtszeit

Tief enttäuscht zeigte sich Clark, als Georgina Beyer vor wenigen Tagen bekannt gab, sie stehe für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung. In langen Gesprächen versuchte die Ministerpräsidentin vor Ostern vergeblich „ihrem“ Star den Abschied aus der Politik auszureden. „Sie hat sich für einen anderen Karriereweg entschieden“, kommentierte Clark anschließend schmallippig. Sie habe immer betont, nach drei Perioden in öffentlichen Ämtern wieder aus der Politik aussteigen zu wollen, begründete Beyer den Verzicht. Und sie wolle sich wieder stärker auf die Menschenrechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen konzentrieren. Vor allem aber wolle sie sich wieder ihrer „wahren Liebe“, der Schauspielerei, zuwenden. „Ich habe sicher an Erfahrungen und Fähigkeiten gewonnen, seitdem ich in der am längsten laufenden Show der Stadt mitspiele – dem Parlament“, witzelt sie.

Für ihre Prominenz zahlt Beyer einen Preis. Die 43-Jährige ist Single und macht sich wenig Hoffnung auf einen festen Partner. „Zum einen müsste der mit dem Medienrummel klarkommen. Und zum anderen muss ein Mann, der sich mit einer transsexuellen Frau einlässt, sich zwangsläufig mit seiner eigenen Sexualität und seiner Rolle als Mann auseinandersetzen. Das zusammen ist für die meisten zu viel.“ Selbst mal einen Mann für die Nacht „aufzureißen“, traut sie sich in Neuseeland nicht, aus Furcht vor Gerüchten. Für Vergnügungen dieser Art reise sie gelegentlich nach „Übersee“, sprich ins gut drei Flugstunden entfernte Sydney.

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