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Der nützliche Streit: Ein unnützer Krieg?

von BETTINA GAUS

Hufeisenplan? „Längst ausgelutscht“, findet der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler den Streit um die Frage, ob es den angeblichen serbischen Plan zur Vertreibung der Kosovo-Albaner tatsächlich gegeben oder ob das deutsche Verteidigungsministerium ihn erfunden hat. Aus seiner Sicht „steht fest, dass die Vertreibung der Albaner bereits im Herbst 1998 generalstabsmäßig vorbereitet war und dass die Serben noch vor Kriegsbeginn mit ihrer Umsetzung begannen“. Er versteht nicht, weshalb jemand „diese Kiste“ jetzt „noch einmal auspackt“. Ohnehin hält er Kritik an der Informationspolitik von Verteidigungsminister Rudolf Scharping während des Kosovokrieges für Teil einer „rückwärts gewandten Diskussion“, in der „ständig dieselben Schlachten von gestern“ geschlagen werden.

Harsche Worte. Sie stehen in einem Schreiben an Mitglieder einer Organisation, in der SPD und Grüne zu Zeiten der Opposition einen wertvollen Verbündeten für die Untermauerung eigener sicherheitspolitischer Argumente gesehen haben: den bundeswehrkritischen Soldaten-Arbeitskreis „Darmstädter Signal“. Gernot Erler ist – noch – Vorsitzender des Förderkreises. Aber die Zeiten ändern sich.

Inzwischen regieren die Sozialdemokraten.

Falsche Behauptungen?

Seit das „Darmstädter Signal“ kürzlich in einem offenen Brief an Scharping deutliche Kritik am Verhalten des Verteidigungsministers während des Kosovokrieges geübt hat, sieht der SPD-Fraktionsvize dem baldigen Auslaufen seines Förderkreismandats eigenen Worten zufolge „noch ungeduldiger“ entgegen. Der Arbeitskreis schwenke in einen „seit Monaten andauernden „Mainstream“ von hartnäckigen Gegnern der westlichen Kosovo-Politik ein, bei dem „immer dieselben fragwürdigen und falschen Behauptungen“ aufgestellt würden.

Zwei Jahre nach Kriegsbeginn am 24. März 1999 nimmt die Diskussion über die Rahmenbedingungen des Kosovokonflikts an Schärfe zu – nicht innerhalb des Parlaments, wohl aber außerhalb. Schon vor einem Monat warnte SPD-Fraktionschef Peter Struck seine Parteifreunde im Bundestag schriftlich vor „kampagnenartigen Aktivitäten“, die sich „gegen die Bundesregierung, aber auch gegen unsere Entscheidungen während des Kosovokonflikts“ richteten. Gemeint waren damit vor allem ein kritischer Brief der Hamburger Friedensforscher Dieter Lutz und Reinhard Mutz an die Bundestagsabgeordneten, in dem sie den Interventionsstaaten mehrfachen Bruch des Völkerrechts vorwarfen und eine gründliche Aufarbeitung des Kosovokrieges forderten, sowie der WDR-Film „Es begann mit einer Lüge“, der – so wiederum Struck – „bewusst zur Verunsicherung und zur Anklage gegen Rudolf Scharping eingesetzt wird“.

Bereits damals wurde Gernot Erler von Struck nach vorne geschickt und um eine Antwort auf den Brief der Friedensforscher gebeten. Er erledigte den Auftrag und teilte den beiden Professoren mit: „Wir können auf selbst ernannte Staatsanwälte und Chefankläger verzichten – aber wir brauchen die Zusammenarbeit mit der Friedensforschung.“ Die rot-grüne Bundesregierung sei „zu einer verlässlichen Finanzierung der deutschen Friedensforschung zurückgekehrt“ und habe mehrere neue Projekte ins Leben gerufen. „Ich bin sicher, dass die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, die sich mit Außen-und Sicherheitspolitik beschäftigen, bereit sind, mit den Vertretern der Friedensforschung, die das auch tatsächlich wollen, weiterhin zu kooperieren“, schrieb Erler: eine Formulierung, die von manchen Lesern des Briefes seinerzeit als kaum verhüllte Drohung gegenüber Regierungskritikern verstanden wurde.

Aber der SPD-Politiker muss derzeit an vielen Fronten gleichzeitig kämpfen. Das „Darmstädter Signal“ bezweifelt in seinem offenen Brief an Scharping nicht nur die Existenz des Hufeisenplans, sondern sieht darüber hinaus durch den WDR-Film auch noch den Vorwurf öffentlicher Fehlinformationen belegt und meint, dass es zu Kriegsbeginn im Kosovo keine humanitäre Katastrophe gab, die das Einschreiten gerechtfertigt hätte.

Kritiker abgekanzelt?

Gernot Erler gefällt „die ganze Stoßrichtung“ dieses Briefes nicht: Er persönlich sehe „keinen strukturellen Unterschied zwischen den Reue-und Unterwerfungsforderungen der Rechtskonservativen an Joschka Fischer wegen seiner Zeit in der Frankfurter Sponti-Szene und den Aufforderungen an Rudolf Scharping, doch endlich zuzugeben, dass es in Wirklichkeit keinerlei Legitimation für die Nato-Luftangriffe gab“. Er frage sich, „warum Ihr nicht stattdessen die nach vorne weisende Frage aufwerft“, welche Anstrengungen gemacht würden, „um künftig eine vergleichbare Konflikteskalation zu vermeiden.“

Wie könne man das vermeiden, „wenn man keine klare Kenntnis darüber hat, wie es gerade erst im Kosovokrieg zur Eskalation in den Krieg gekommen ist“, fragt dagegen Brigadegeneral a. D. Heinz Loquai, ehemaliger Mitarbeiter der OSZE. Er ist ebenfalls Mitglied des Förderkreises vom „Darmstädter Signal“ und hat jetzt seinerseits auf den Erler-Brief geantwortet: „Kritiker der Regierungspolitik werden nach meinem Empfinden von Ihnen abgekanzelt, ja nicht selten diffamiert.“

Die Widersprüche, in die sich der Verteidigungsminister „verstrickt“ habe, seien doch „keine Erfindung böswilliger und ahnungsloser Gegner“, sondern offenkundig. Als Beispiel nennt Loquai die Diskussion über den Hufeisenplan. Er meint, die Beweislage sei auch nach Ansicht von Teilen des Verteidigungsministeriums „zu dünn“ gewesen, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Scharping, Erler und das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr datierten die Erarbeitung des Plans auf unterschiedliche Zeitpunkte: „Wer hat nun Recht?“

Auch hinsichtlich der Einschätzung des WDR-Films „Es begann mit einer Lüge“ könnten die Verfechter der unterschiedlichen Positionen kaum weiter voneinander entfernt sein als jetzt. Erler meint, „schlicht durch die Lektüre“ eines Artikels von Matthias Rüb in der FAZ vom 1. März 2001 erwiesen sich die angeblichen Tatsachen des WDR-Films, in dem Scharping bewusste Irreführung der Öffentlichkeit vorgeworfen wird, als „Ergebnisse eines tendenziösen, manipulierten und verfälschenden Journalismus“.

Das sieht Heinz Loquai, der in dem Film selbst befragt worden ist, ganz anders: „Von meinen Äußerungen habe ich, um es hier deutlich zu sagen, nichts zurückzunehmen.“ Einen äußeren Anlass dafür hat er ohnehin nicht: Der Verteidigungsminister ist bisher mit allen Versuchen gescheitert, den Filmautoren einen sachlichen Fehler nachzuweisen.

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