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Schafe ziehen vorüber

■ Der erste europäische Fernradweg führt über 6.000 Kilometer einmal rund um die Nordsee. Die taz testete den Abschnitt Varel-Bremerhaven, auch bekannt als nördlicher Teil der „Deutschen Sielroute“

„North Sea Cycle Route“ ist der vielversprechende Name des Fernradwegs. Ah!, denken Voreilige, la mèr, la mèr, so weit das Auge reicht. Weit gefehlt. Wegen besserer Wegverhältnisse und der Unverträglichkeit von Naturruhe und Windjacken-Horden auf Rädern führt der offizielle Weg zwischen Varel und Bremerhaven auf der Straßenseite des Deichs entlang. Grün und erhaben liegt er am Wegesrand, trotzt Sturm und Fluten, erträgt stoisch Generationen von schmuddeligen Schafen. Und versperrt den Blick aufs Wasser.

Außerhalb der Saison ließe sich dieses Ärgernis umfahren – ein größtenteils gepflasterter Fußweg schlängelt sich auf der meerzugewandten Seite am Deichfuß entlang. Wenn nur die Schafe nicht wären. Wenn diese nur keine Klauen hätten und damit potentielle Seuchenherde wären. Wenn der verdammte Deich nicht gesperrt wäre! Auf der ersten Hälfte der 70 Kilometer langen Strecke bleiben wir also wie vorgesehen auf dem Radweg der zweispurigen Straße und kriegen schlechte Laune.

Nicht verunsichern lassen! Nicht über Land „abkürzen“! Es wird besser! Es wird schön! Die Wende kommt auf der Höhe von Stollham. Dort macht die Landzunge Butjadingen einen Knick nach Westen, die „Cycle Route“ biegt von der Hauptstraße nach links ab und wird einspurig und einsam. Mitten in der Woche und außerhalb der Saison ist hier so wenig los, dass wir bei jeder Gelegenheit auf den Spazierweg am Wasser ausweichen. Die Schafe sind hinter Zaun und Riegel.

Die Bedienung in der Tossener Strandhalle serviert lecker saftigen Rhababerkuchen. Sie hat nicht viel zu tun, nur ein paar Senioren ertragen das „Radio ffn“-Geplapper über Intimspray und andere Unsäglichkeiten. Wegen MKS und der Benzinpreise hätten sie bisher nur halb so viel Umsatz gemacht wie im letzten Jahr, sagt die Dame. „Das ist alles Panikmache mit der Seuche“, erklärt sie. Der alte Mann, der mit seinem Hund und einem Laufgestell an der Grundstückseinfahrt Deich und Straße beobachtet, sieht das anders. „Von den Schafen, die hier vorüberziehen, sind einige ganz schön angeschlagen.“ Und wirklich: Immer wieder sehen wir Schafe oder Lämmer, die unsicher über den Deich wanken. MKS? BSE? Wacklige Beine wegen der lebenslangen Schräglage am Deich?

Viel mehr als Schafe und Variationen von Grün, Braun und Blau gibt es nicht zu sehen. Ab und an eine Kirche, ein schnuckeliges Dorf. Pferde und Kühe, selten Radfahrer. Die einzigen Profis, die uns entgegenkommen, sind zwei Frauen um die sechzig, auf dick bepackten Trekkingrädern. Sie sind längst vorbeigerast, als mir in meiner entspannten Landschaftbetrachtung einfällt, dass ich sie über die North-Sea-Cycle-Route hätte ausquetschen können. Keine Lust zu reden. Ist so schön still. Im Watt singen Austernfischer und Strandläufer ihr Lied vom Leben an der Küste. Es riecht und schmeckt nach Meer, Meer, Meer.

Als Kontrastprogramm für Industrieromantiker ragen auf der anderen Seite des Jadebusens schemenhaft die Türme der Wilhelmshavener Raffinerie in den graublauen Himmel. Auf den letzten 16 Kilometern zur Fähre blicken wir auf die Wesermündung und die Columbus-Hochhäuser von Bremerhaven. Im Nordenhamer Ortsteil Blexen wartet die Autofähre nur auf uns, bevor sie ablegt zu ihrer kurzen Fahrt über die Weser. Sonnenuntergang, Stille, Möwen. Wir wünschen uns, wir hätten nicht bloß ein Stückchen getestet, sondern würden am nächsten Tag weiterfahren, immer hart am Wind, die Küste hoch bis Bergen. Schafe, die einzigen Begleiter. Eiken Bruhn

Weitere Informationen über den Fernradweg: www.northsea-cycle.com / Telefon: 0471/9464610

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