: Lamsdorff vs. Kram
Die Klageabweisung der New-Yorker Richterin führt zu einer heftigen Kontroverse: Hat sie Bedingungen aufgestellt und muss deshalb das Stiftungsgesetz geändert werden? Opfer-Sprecher Evers fordert sofortige Feststellung der Rechtssicherheit
von CHRISTIAN SEMLER
Übers Wochenende haben sich die Chancen der ehemaligen Zwangs- und Sklavenarbeiter, noch diesen Sommer wenigstens in den Genuss einer Abschlagszahlung aus dem 10-Milliarden-Fonds der Bundesstiftung zu kommen, weiter drastisch verschlechtert.
Otto Graf Lambsdorff, Verhandlungsführer der deutschen Seite, machte die New-Yorker Bundesrichterin Shirley Wohl Kram für die Komplikationen verantwortlich. Kram hatte am Donnerstag die von Klägern wie Beklagten geforderte Klageabweisung ausgesprochen. Sie hatte argumentiert, dass sich seit ihrer Weigerung im Januar neue Gesichtspunkte ergeben hätten, sodass eine Diskriminierung von Klägern nunmehr vermieden werden könne. Im zunächst veröffentlichten Tenor das Urteils war von „Bedingungen“ nirgendwo die Rede. Der Streit über das Urteil entzündete sich, als die Begründung bekannt wurde.
Im Kern handelt es sich um die Frage, wie die Vermögensschäden beglichen werden sollen, die österreichische Staatsbürger jüdischen Glaubens nach dem „Anschluss“ durch österreichische Banken erlitten. Unter Federführung Krams war ein 40-Millionen-Dollar-Ausgleich ausgehandelt worden, der sich aber als unzureichend erwies. Da die österreichischen Banken zur Zeit des Anschlusses, also 1938, unter deutsche Bankenkontrolle gerieten, war der Raubzug an jüdischem Vermögen auch Sache der deutschen Banker. Mögliche Forderungen an die deutschen Banken wegen des Kram-Ausgleichs hatten die Österreicher an die jüdischen Kläger abgetreten („zediert“). Von Seiten der Stiftungsinitiative war die Berechtigung dieser Forderungen stets verneint worden, außerdem seien juristische Personen (die in Frage stehenden deutschen Banken) für den Fonds nicht antragsberechtigt. Der gelte nur für natürliche Personen.
Shirley Kram umgeht die Frage, ob Ansprüche österreichischer gegen deutsche Banken zu Recht bestehen („Ansprüche, die sie haben oder gehabt haben mögen“). In ihrem Urteil wird dargelegt, dass sich die Mittel- und osteuropäischen Vertreter bzw. die beauftragten Anwälte im Stiftungsrat der Bundesstiftung für die Ausarbeitung von Kriterien einsetzen sollten, mit deren Hilfe die österreichischen Geschädigten aus der Bundesstiftung Geld erhalten könnten. Nirgendwo wird eine Änderung des Stiftungsgesetzes gefordert. Es wird allerdings festgeschrieben, dass Klagen wieder aufleben können, wenn die Kläger der Meinung sind, ihre Benachteiligung sei nicht behoben worden. Auf alle Fälle müsse nach der Abweisung noch im Sommer mit den Auszahlungen begonnen werden.
Lambsdorff und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft interpretieren die erwähnten Urteilspassagen als Bedingung für die Wirksamkeit der Klageabweisung. Sie beharren auf ihrer Berufung gegen Krams Bescheid vom Januar beziehungsweise gegen ihre jetzige Klageabweisung. Von einer Bedingung („condition“) ist allerdings im Urteil Krams nirgendwo die Rede. Vielmehr wird ein Weg aufgezeigt, dessen Scheitern die Klagen wiederaufleben lassen kann, nicht muss.
Lothar Evers vom Bundesverband Information und Beratung der NS-Verfolgten hat deshalb in einer Erklärung vom Wochende die Argumente Lambsdorffs und der deutschen Wirtschaft als vorgeschoben bezeichnet und vom Bundestag gefordert, sofort die Erklärung zur „Rechtssicherheit“ zu verabschieden. Nicht zum ersten Mal weist er auch darauf hin, dass den Zwangsarbeitern durch die Weigerung der Stiftungsinitiative, ihren Anteil von 5 Milliarden an die Stiftung zu überweisen, täglich 700.000 Mark Zinsen entgehen.
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