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Auf dem Weg zu einer neuen Eugenik?

Kathrin Braun reaktiviert Kants Kategorischen Imperativ und macht ihn zur Basis einer Ethik der Menschheit, die das Klonen von Embryonen verwirft

von JÖRN AHRENS

„Laßt uns einen Menschen klonieren“, hat schon 1974 der Philosoph Hans Jonas sarkastisch den fröhlichen Naturwissenschaftlern zugerufen – nicht ahnend, welche Ausmaße die Biotechnologie einmal annehmen würde: In den USA wurde jüngst ein Kind zur Welt gebracht, das de facto Erbgut zweier Mütter in sich trägt; in Italien will ein Forscherteam um den Reproduktionsmediziner Antinori sich daran machen, einen Menschen zu klonen. Jonas machte seinerzeit Argumente gegen die Klonierung stark, die in der ethischen Diskussion nach wie vor Gewicht haben – vor allem dürfe man kein menschliches Wesen für wissenschaftliche Zwecke instrumentalisieren. Das schließe den Klon ein, der als Kopie eines anderen seiner individuellen Freiheit beraubt sei.

Jetzt gibt es ein Kind, das nicht nur ein gewöhnliches „Retortenbaby“ ist, sondern bei dem verschwimmt, wer genetisch die Mutter ist. Und wenn Antinoris Experiment gelingt, dann wird es der erste menschliche Klon überhaupt sein, der gewissermaßen bis zur Geburt zugelassen und in die menschliche Gesellschaft entlassen wird. Und da fangen die Probleme schon an: Wird ein Klon im Wortsinn geboren? Leistet er den Menschen Gesellschaft oder sie ihm? Handelt es sich beim Klon um einen Menschen nach Art der Gattung? Denn dies meint herkömmlich einen, der von einer Mutter geboren ist und dadurch in den Genuss menschlicher Würde gelangt. Woher erlangt der Klon seine Würde, so er welche bekommen soll? Das sind „ethische Fragen völlig neuer Art“, wie sie schon Jonas formulierte.

Auf solche Fragen gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Antworten; es existieren auf nationaler und internationaler Ebene Absichtserklärungen, Abkommen, Gesetze und Erklärungen über die gesellschaftlichen und ethischen Konsequenzen der Biowissenschaften. Hier mangelt es nicht an Denkerschweiß, der sich in bedrucktes Papier umsetzt. Im Gegenteil, die so genannte Bioethik ist eine feste Einrichtung an den Universitäten geworden, unersetzlich bei der Politikberatung und in der Regel der praktischen Forschung eng verbunden.

Die Bioethik rechtfertigt die Biotechnologie

Nur: Kann diese Forschung die neuen Technologien wirklich kritisch begleiten, kommentieren oder sie gar in die Schranken weisen? Auf gar keinen Fall, meint die Politologin Kathrin Braun. Der Bioethik als dem geisteswissenschaftlichen Pendant zur Biotechnologie unterstellt sie eine bestenfalls apologetische Haltung der technologischen Entwicklung gegenüber, im schlechtesten Fall aber eine deutlich eugenische bis sozialhygienische Tendenz. Braun dient als Ausgangspunkt Michel Foucaults Begriff einer „Biopolitik“, der auf eine politische Tendenz abzielt, die biologischen Prozesse des Lebens immer mehr unter gesellschaftliche Normierungen und Kontrollmechanismen zu subsummieren. In ihrer Studie kommt Braun zu dem Schluss, die Bioethik wirke als „schlichtender Diskurs“ an der Nahtstelle zwischen Biomacht und Recht. Dagegen möchte sie einen grundsätzlich kritischen Ansatz geltend machen, wobei sie hauptsächlich gegen die beiden derzeit heftig diskutierten Techniken der Präimplantationsdiagnostik (PID) und der Klonierung argumentiert.

Die Frage ist allerdings: Lässt sich die Ablehnung biowissenschaftlicher Verfahren wie der PID begründen, ohne damit einer Vorstellung von Leben das Wort zu reden, die gleichzeitig das Recht der Frauen auf Schwangerschaftsabbruch denunziert? Kann es eine dezidiert feministische Argumentation hinsichtlich der biotechnologisch induzierten Medizin geben? Braun versucht genau das und geht dabei nicht einmal von den Klassikern des Feminismus selbst aus. Vielmehr stellt sie Kants moralisches Modell des Kategorischen Imperativs in den Vordergrund: „Handle stets so, daß die Maxime deines Handelns allgemeines Gesetz sein könnte.“ Die Betonung liegt auf dem allgemeinen Aspekt, der über einen möglichen Einzelfall hinausweist.

Braun macht so die menschliche Gattung zur Prämisse der Ethik. Der Eingriff in die genetische Konstitution bedeutet für sie eine „Instrumentalisierung des Menschen“: Hier handelt es sich nicht länger um Probleme der Würdeverletzung eines bereits existierenden Individuums, sondern vielmehr steht die Kategorie der Menschheit selbst im Zentrum und damit auch die grundsätzliche Idee der Menschenrechte. Statt einer Individualethik, wie in der Bioethik üblich, fordert Braun daher eine Gattungsethik, um den Biowissenschaften gerecht zu werden.

Mit diesem relativ simplen Trick gelingt Braun das Kunststück, sowohl überzeugend gegen die Legitimität einer Fabrikation menschlicher Wesen zu argumentieren, die einen lediglich instrumentellen Charakter besitzen, als auch die Autonomie der Frauen hinsichtlich der Reproduktionspolitiken zu wahren. Als moralischer Maßstab ist dabei das Instrumentalisierungsverbot unverzichtbar – und muss politisch und normativ umgesetzt werden. Mit dieser Argumentation fegt Kathrin Braun alle aktuellen Debatten darüber vom Tisch, ob ein Embryo bereits eine Person von Würde sei – was Kulturminister Nida-Rümelin kürzlich in Frage stellte, um damit das Klonen von Embryonen ethisch zu legitimieren. Braun geißelt eine solche Politik, weil sie dabei sei, den Begriff des Menschen aufzulösen und verschiedene Statusebenen der Würde zu etablieren. In diesem Sinn kritisiert Braun auch Erklärungen der Unesco und des Europarates zur Bioethik. Vor allem moniert sie deren Forschungsfreundlichkeit und die unzureichenden materialen Regelungen des Menschenrechtsschutzes. Wichtig sei die Intention der Erzeugung eines Fötus und nicht die Frage nach seiner Bewusstseinsfähigkeit. So gefragt, ließe sich das Problem nämlich ausdehnen – etwa auf behinderte Erwachsene. Das aber würde den Weg in die Eugenik weisen.

Dem grundsätzlichsten Problem einer Bioethik aber kann auch Braun nicht entgehen: Sie sieht sich außerstande, zu definieren, was die „Menschheit“, als ihre wichtigste moralische Kategorie, ist. Zwar fordert sie, grundsätzlich von der „Einheit der Menschheit“ auszugehen, doch stellt gerade der metaphysisch belastete Gattungsbegriff die Sollbruchstelle ihres Argumentationsgebäudes dar. Die Widersprüchlichkeit der Menschenrechte besteht ja darin, dass es vollkommen unklar ist, auf welcher institutionellen Basis Menschen Rechte überhaupt erhalten. In dieser Hinsicht bleibt auch Brauns Argumentation unklar. „Die Menschheit“ als Gattung ist als normative Kategorie schon immer ein Konstrukt gewesen, ein Behelfsmittel zur Herstellung von Rechten und Pflichten. Gerade die Biowissenschaften aber lösen sie jetzt materiell, biologisch auf, indem sie klarmachen, dass es eine privilegierte Stellung des Menschen vor anderen Gattungen nicht gibt. Damit greifen sie nicht nur in die biologische Konstitution des Menschen, sondern auch auf den Begründungskontext einer Gattungsethik. Jene ethischen Fragen „völlig neuer Art“ lassen auch eine Unsicherheit hinsichtlich der Reichweite herkömmlicher Begründungsstrategien aufkommen, die Braun noch vehement ins Feld führt. Wer aber schützt nun solche Unsicherheit vor Instrumentalisierung?

Kathrin Braun: „Menschenwürde und Biomedizin. Zum philosophischen Diskurs der Bioethik“, 309 Seiten, Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2000, 68 DM (34,77 EUR).

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