: Granaten statt Steinschleudern
Obwohl die Intensität der Kämpfe auf beiden Seiten abnimmt, verschärft sich die Wahl der Waffen
JERUSALEM taz ■ Die israelische Definition „kriegsähnlicher bewaffneter Konflikt“ für die Unruhen der vergangenen Monate stößt bei der Mitchell-Kommission auf Ablehnung. In den ersten drei Monaten, so ihr Bericht, habe es auf palästinensischer Seite bei den meisten Zwischenfällen „keinen Gebrauch von Schusswaffen oder Sprengstoff“ gegeben. In den vergangenen Tagen und Wochen zeichnet sich indes eine Verschärfung des Konflikts hinsichtlich des Waffengebrauchs auf beiden Seiten ab.
Immer weniger Menschen sind an den Unruhen beteiligt, trotzdem gibt es fast täglich weitere Todesopfer. Selbst vorgestern, am Tag der „Nakba“, dem 53. Jahrestag der Staatsgründung Israels und Vertreibung von Palästinensern, griffen nur einige hundert Demonstranten im Westjordanland Kontrollposten mit Steinen an. „Unter den Palästinensern setzt eine Ermüdung ein“, kommentiert das israelische Fernsehen. Stattdessen steigt die Zahl der Angriffe mit Schusswaffen und Mörsergranaten, die Palästinenser auch auf israelische Zivilisten abfeuern. Mit Hilfe aus dem Ausland wird das Rüstungsarsenal immer weiter aufgestockt. Inzwischen dürften hunderte Raketen und Granaten den Gaza-Streifen erreicht haben.
Gleichzeitig reagiert die israelische Armee immer heftiger. „Wenn aus Beit Dschala geschossen wird, werden wir die erste Häuserreihe einreißen“, hatte Ariel Scharon kurz vor den Wahlen angekündigt. „Und wenn weiter geschossen wird, die zweite Häuserreihe und dann die dritte.“ Bislang hat der Regierungschef seine Drohung nicht wahr gemacht. Rückendeckung für harsche Militäraktionen bekommt er nicht nur von den Siedlern und vom Militär – selbst im Kabinett sitzt ein Minister, der bereits vorgeschlagen hat, „sämtliche Gebiete neu zu besetzen, um ein für allemal mit den Terroristen Schluss zu machen“. Avigdor Lieberman ist Minister für die Nationale Infrastruktur. Wenngleich sein Vorschlag kaum eine Mehrheit im Kabinett erzielen wird, sind sich die Minister einig, dass die bisher mit den Palästinensern getroffenen Vereinbarungen keine Rolle mehr spielen. So sind kurzzeitige Invasionen in das palästinensische Autonomiegebiet inzwischen an der Tagesordnung. Dabei werden nicht selten Wohnhäuser und Werkstätten zerstört. Auf Zustimmung treffen auch so genannte Initiativoperationen, bei denen die Armee auch ohne akute Konfliktsituation aktiv wird. Dazu gehören die Exekutionskommandos, die in der Regel die Anführer von Gewaltaktionen im Visier haben. Am Montag wurden bei einer solchen Operation offenbar grundlos fünf palästinensische Polizisten getötet. SUSANNE KNAUL
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