: Einmal Nil und zurück
Mit dem Attentat radikaler Islamisten auf eine Touristengruppe in Luxor war vor vier Jahren alle Reiselust auf den Nil mit einem Schlag ausgelöscht. Inzwischen ist das pharaonische Ägypten wieder Kult, das Geschäft mit dem Fremdenverkehr brummt wie nie – nicht zuletzt dank deutscher Waffen. Die beste und bequemste Art, sich dem Tal der Könige und Königinnen zu nähern, ist nach wie vor die pauschal gebuchte Nilkreuzfahrt. Eine Ortsbesichtigung
von PETRA GROLL
„Fabelhaft restauriert, sieht ja aus wie von gestern“, lobt anerkennend ein Besucher. Doch Reiseleiter Mohammed zieht ihm den Zahn. „Alle ägyptischen Altertümer werden konserviert, nicht restauriert. Wir versuchen die Dinge zu erhalten“, sagt Mohammed. „Wir fügen nichts Neues hinzu.“
Ein Weilchen noch stehen wir vor dem zimmerhohen Relief, das einen Pharao bei der Entenjagd im Schilf des Nil zeigt, bewundern die Leuchtkraft der Farben und die präzise Linienführung der Wandmalereien. Bis es plötzlich laut wird: Esoteriker im Tal der Könige. Eine zehnköpfige Gruppe hat einen Moment vor uns das Grab geentert, sich um den gewaltigen Sarkophag des Königs aufgebaut und meditiert jetzt intensiv auf Om.
Moderner Massentourismus. Halbwegs allein war man in Oberägypten nur nach dem verheerenden Attentat, das radikale Islamisten 1997 in Deir el Bahri bei Luxor verübten, blindwütig in Besuchergruppen feuerten, die den Tempel der Hatschepsut besichtigten. Mit einem Schlag war alle Reiselust auf den Nil ausgelöscht.
Die ägyptische Regierung ging hart gegen die Islamisten vor; Militär und Polizei wurden unter anderem mit deutscher Hilfe aufgerüstet. Heckler & Koch, so weiß der Reiseleiter die Gruppe zu beruhigen, habe einen fetten Auftrag bekommen. Und oben, auf den Bergen rund um das Tal der Könige, sei Militär in Mannschaftsstärke postiert. Taschenkontrollen und Metallsensoren gehören seither zum Eintrittsritual an allen Brennpunkten touristischen Interesses. Sicherheitsbeamte in Zivil mischen sich allenthalben unter die Besuchermassen.
Augenscheinlich wurde nicht nur europäische Technik eingekauft, sondern auch eine ganze Kollektion hellgrauer Anzüge und die Frisur à la BKA-Personenschutz. Seit 1999 jedenfalls boomt das Fremdenverkehrsgeschäft wieder am Nil. Auch wir tragen dazu bei; fast eine Million Deutsche buchten im vergangenen Jahr Ägypten, im Vorjahr waren es erst gut sechshunderttausend gewesen.
Nach Petrodollar und den Überweisungen ägyptischer Arbeitnehmer im Ausland steht der Fremdenverkehr auf Platz drei der nationalen Einnahmequellen. Der Massentourismus ist nicht mehr aus der Welt zu denken. Auch nicht aus dem Tal der Könige. Mit seinen sechshundert Grabstellen – darunter archäologische Sensationen, wie das 1928 entdeckte Grab des Tutanchamun mit seinem legendären Goldschatz oder die erst 1995 gefundene Grabstatt Ramses II., in der 52 seiner Söhne lagen – gehört es zu den Highlights aller Reisen ins pharaonische Ägypten.
Mehr als hundert Busse warten schon am Morgen auf dem Parkplatz unterhalb des Tals auf Gruppen, die von Grab zu Grab pilgern. Nicht wenige sind bereits in der Nacht aus den Tourismusgebieten am Roten Meer aufgebrochen, haben für den Tagesausflug nach Luxor die rund dreistündige Fahrt im Konvoi und unter Militärschutz durch die Östliche Wüste hinter sich gebracht. Andere sind mit dem Nachtzug in zehn Stunden aus dem 650 Kilometer entfernten Kairo angereist oder für etwas mehr Geld aus der Hauptstadt in den Süden geflogen.
Und wieder andere beginnen in Luxor ihre einwöchige Reise per Kreuzschiff durch Oberägypten; die mit Abstand luxuriöseste, aber durchaus erschwingliche Weise, sich dem pharaonischen Ägypten zu nähern.
Außer dem Tal der Könige hat Luxor, das antike Theben, Sehenswürdigkeiten für satt vierzehn Tage zu bieten. Und an den Ausgrabungsstellen wird noch immer Neues ans Licht gebracht. Einen, höchstens zwei Tage verbringen die meisten Reisenden hier, dann müssen sie Platz machen für die nächsten Gruppen. Also gilt es mitzunehmen, was eben möglich ist: Vom Tal der Könige brausen die Busse zum Tal der Königinnen, zu den monumentalen Totentempeln von Ramses II. und III., zum Tempel der Hatschepsut. Eine Fotopause bei den Memnonkolossen und weiter in wildem Ritt durch dreitausend Jahre Pharaonengeschichte. Nach einigen Stunden brummt der Schädel: Amun bis Seth, Sonnengott, Totenkult, Altes Reich, Neues Reich, Lotus, Papyrus, Schlangenkrone – man träumt vom Liegestuhl und einem frischen Bier.
Bei Pharaos – laut Hieroglyphen – durchaus als Volksdroge beliebt und erst seit islamischen Zeiten in den Bereich der Sünde verwiesen, wird es in Ägypten als „Stella“ gebraut und an Bord des Nilschiffs schon seit Stunden gut gekühlt. Und während die „Nilperle“ den Kurs stromauf startet und der Fahrtwind Erfrischung verschafft, verdeutlicht ein Blick zurück die Basics pharaonischer Weltsicht. Wo die Lebenden und die Toten ihr eigenes Reich hatten, war alles nach dem Stand der Sonne organisiert: Abends verschwindet sie hinter den Felsen des Tals der Könige, um am anderen Ufer, über der riesigen Tempelanlage von Karnak – zweitausend Jahre fortlaufend bauten die Pharaonen hier – am nächsten Tag wieder aufzugehen.
Und in der Mitte der Nil, Lebensader des antiken wie modernen Ägypten. Weil die alten Ägypter zwar den Flaschenzug kannten, das Rad aber noch nicht erfunden hatten, transportierten sie alles auf dem Fluss – von begehrter Kriegsbeute, Sklaven, Gold und exotischen Tieren bis zu viele Tonnen schweren Granitklötzen aus den Steinbrüchen von Assuan.
Auch die Statuen ihrer höchsten Götter wurden auf Barken verladen. Einmal im Jahr zum Beispiel reiste die kuhköpfige Liebesgöttin Hathor von ihrem Tempel in Dendera gen Süden, in einer ehrwürdigen Prozession entlang blumengeschmückter Ufer, an denen die Menschen bei üppigen Speisen und Pharaonenbier tagelang ein sagenhaftes Volksfest feierten. In Edfu schließlich traf Hathor ihren Göttergatten, den falkenköpfigen Horus, zur feierlichen Vereinigung. Ihr reisen wir nach.
Drei Tage Zeit bleiben für die 220 Kilometer von Luxor bis Assuan, mit gemächlichen sechzehn Knoten (knapp dreißig Stundenkilometer) tuckert das schwimmende Hotel dahin. Das ist der wahre Luxus dieser Reise. Nichts selbst organisieren zu müssen, keine Tickets, keine Taxis, keine Tourguides besorgen, sondern Zeit zu haben, die Annehmlichkeiten an Bord auszukosten: Vollpension vom Feinsten, was Ägypten im Tagesangebot hat, Sonnenbaden und immer wieder Muße, den Blick auf die Ufer, das Fruchtland auf beiden Seiten des Nil, zu genießen.
Zwar drängt sich immer auch die Wüste ins Blickfeld. Doch je harscher sie sich auftürmt, je begieriger sie ihr ockergelbes Licht hinüberwirft, umso sanfter schimmert das Schilf, umso lieblicher leuchtet das Grün von den Feldern, umso freundlicher blinkt die gekräuselte Oberfläche des Stroms. Mittendrin sitzt der Besucher. Eine geradezu therapeutische Angelegenheit.
Kurz vor Assuan verjüngt sich das Fruchtland, beginnt die nubische Wüste mit neuen geologischen Mustern. Assuan ist ein historischer Verkehrsknoten. Hier wurde auf den Nil verschifft, was aus dem Inneren Afrikas kam und was Karawanen durch die östliche Wüste transportiert hatten: allerlei Kostbarkeiten, die aus Asien auf dem Seeweg an die Küste des Roten Meers gelangt waren. Der Gewürzmarkt genießt noch heute einen ganz besonderen Ruf.
Und Assuan war eines der angesagtesten Reiseziele der Kolonialzeit. Abenteuer (eine Reise in den schwarzen Kontinent), Erholung (das heiße, dabei absolut trockene Klima tut besonders Rheumageplagten wohl) und kulturelle Unterhaltung (pharaonische Tempel und spektakulär gut erhaltene Gräber des damaligen Hofadels) lockten die europäische, insbesondere die britische Schickeria herbei. Noch in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gaben sich Prominente die Klinke in die Hand, von Agatha Christie bis Winston Churchill. Sie alle nahmen die uralte Route, den Nil stromauf, die Mutter aller Kreuzfahrten sozusagen, Ende des 19. Jahrhunderts erfunden vom legendären Thomas Cook, dem Vater des modernen Pauschaltourismus.
Während die alten Nildampfer längst das Zeitliche gesegnet haben, kann man in Oberägypten die prachtvollen Hotels jener Tage noch besichtigen. Und, bei entsprechender Reisekasse auch dort wohnen. Wer sich vor allem für das pharaonische Ägypten interessiert, der bleibt in Luxor, einem Ort, dessen Gegenwart vor der Historie unweigerlich verblasst. Unweit des Luxortempels liegt das Hotel Old Winter Palace. Von den zur Corniche, der Uferstraße, gelegenen Zimmern und Suiten aus blickt man auf den Nil und am jenseitigen Ufer auf die Berge, die das Tal der Könige umschließen.
Einmalig schön liegt das Schwesterhotel in Assuan, das Old Cateract, direkt unterhalb des ersten Nilkatarakts, einst unüberwindlicher Stromschnellen. Wer sich auf die historischen Epochen und die Gegenwart des modernen Ägypten einlassen möchte, der entscheidet sich für die Fünfzigtausend-Einwohner-Stadt. Die wurde nicht wegen ihrer Sehenswürdigkeiten aus Pharaonen- oder Kolonialzeit weltberühmt, sondern wegen „Sadd el Ali“, dem Assuanstaudamm, der den Nil zu einem der größten künstlichen Seen des Planeten aufstaut. „Nassers Pyramide“ heißt das nach wie vor umstrittene Projekt seit jeher im Volksmund.
Und auch das ehrgeizige Vorhaben des jetzigen Präsidenten, Husni Mubarak, mit Hilfe eines riesigen Bewässerungskanals, ausgehend vom Nasserstausee, einen Teil der westlichen Wüste bewohnbar zu machen, haken spitze Zungen unter dem Stichwort „Pyramide“ ab. Doch Spott beiseite. Damm und Stausee sind unbedingt einen Besuch wert, ebenso wie das Denkmal ägyptisch-sowjetischer Freundschaft, das an die Fertigstellung des Damms erinnert.
Er wurde im Frühjahr 1971 feierlich eingeweiht. Der Streit um Kosten und Nutzen hält auch nach dreißig Jahren an: Einerseits werden durch Wasserkraft enorme Mengen Energie produziert, unzählige Dörfer werden nicht mehr von den jährlichen Überschwemmungen heimgesucht. Andererseits müssen die Felachen Kunstdünger auf ihre Felder bringen, weil eben jene Überschwemmungen ausbleiben, die bis dato auch fruchtbaren Schlamm mitbrachten. Im Mittelmeer, rund um das Nildelta, sind die Quoten im Sardinenfang erheblich zurückgegangen, und selbst Historiker und Ägyptologen beklagen, der Grundwasserspiegel in Oberägypten sei derart gestiegen, dass bis nach Luxor die antiken Altertümer gefährdet seien: von Schimmel und allerlei Pilzen bedroht.
Dahingestellt sei, ob die Spritztour nach Abu Simbel, fakultatives Angebot im Rahmen jeder Nilkreuzfahrt, tatsächlich zu den musts der Reise zählt. Von den Preisungen der Reiseführer („Wer Abu Simbel nicht gesehen hat, der hat Ägypten nicht gesehen“) sollte man sich nicht unbedingt beeindrucken lassen, für sie geht es schließlich um die Provision. Und für den Urlauber um satte 350 Mark pro Nase und Flug für einen Kurzaufenthalt bei den monumentalen Ramsesstatuen, die in einer aufwendigen Umsetzungsaktion der Unesco vorm Versinken in den Fluten des Nassersees bewahrt wurden.
Ebenfalls dem Staudamm weichen mussten die nubischen Bewohner der Gegend. Als ihre Dörfer geflutet wurden, bot man ihnen Quartier in Assuan an. Sie verstärken die ansässige nubische Community und die ohnehin afrikanische Prägung der Stadt. Unüberhörbar ist ihr Trommeln, wenn abends die Lichterketten aufleuchten, in den Restaurants am Nilufer, auf den Terrassen und Hausbooten. Und sie sind nicht zu übersehen: Dunkelhäutig, hoch gewachsen und feingliedrig überragen sie die meisten arabischen Ägypter. Die Männer, gern strahlend weiß gekleidet, mit quietschbunten Häkelkäppchen, die Frauen hinter hauchdünnen, oft metalldurchwirkten, schwarzen Schleiern. Manche Besucherin beschließt, zu Hause mit ein paar Telefonbüchern auf dem Kopf dieses beeindruckend aufrechte Schreiten zu trainieren.
Den Kurztrip nach Abu Simbel verschieben wir auf „nächstes Mal, inscha’Allah“ und lassen uns durch den Basar von Assuan treiben. Touristenattraktion und Gebrauchsmarkt gehen ineinander über, man kann Webteppiche mit naivbunten Motiven erstehen, allerlei Kupfer- und Messingzeug, Edelsteine, Gold- und Silberschmuck, die berühmten Gewürze und natürlich pharaonische Souvenirs aller Kitschklassen.
Während man vor einigen Jahren noch große Dramen erleben konnte, mit Händlern, die feuchten Auges und beim Leben ihrer Mutter schworen, diese Uschebtifigur stamme selbstverständlich „original“ aus dem Grab des einen oder anderen Ramses und dafür sei der Preis, bei Gott, doch nicht der Rede wert, werden heute krasse Preisspannen lapidar mit dem Hinweis auf Hand- oder Maschinenfertigung des Duplikats erklärt. Sei’s drum.
Im Souk, dem arabischen Basar, muss um jedes Souvenir gehandelt werden, und zwar kaltblütig. Mindestens die Hälfte, wenn nicht zwei Drittel des aufgerufenen Preises lassen die Händler in der Regel nach. Nur Schmuck wird streng nach Gewicht berechnet, wobei eigentümlicherweise die Qualität der Arbeit nicht bewertet wird.
Wer aber einen schönen bunten Teppich kaufen möchte, der sollte sich mit Geduld und Spucke wappnen. Dutzende von Exemplaren kramt der eilfertige Bazari aus den hintersten Winkeln seines Geschäfts, breitet sie vor den staunenden Kunden aus, bis es denen nur so vor Augen flimmert bei all den Farben und Motiven, und lässt sich frühestens dann einen Preis entlocken, wenn der Käufer längst nicht mehr darüber nachdenkt, ob er hier einen Teppich kaufen möchte, sondern nur noch, welchen.
Umso schwerer fällt es natürlich, nach einigem Hin und Her zur Not auch einmal drohend aufzustehen und ein, zwei theatralische Schritte in die Gasse zu tun, um dem feilschenden Teppichhändler den Ernst der Lage und des letztgenannten Ultimatums zu bedeuten. Steht schließlich der Preis, ist der Teppich eingerollt und zum Transport verschnürt, lädt der Mann gern zum Tee. Starker, süßer Schwarztee mit einem Blättchen frischer Minze. Belohnung für einen beide Seiten zufrieden stellenden Handel.
PETRA GROLL, 43, besucht Ägypten seit zwanzig Jahren immer wieder in unregelmäßigen Abständen. Von den antiken Sehenswürdigkeiten blieb sie stets weniger berührt als von der Gegenwart am Nil
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