: Peres sucht Kompromiss
Israels Außenminister möchte, dass die Siedlungen demografisch, aber nicht territorial wachsen. Die rechten Parteien protestieren
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Die israelische Regierungskoalition von Ministerpräsident Ariel Scharon scheint, drei Monate nach der Wende, über die eigenen, vage formulierten Regierungsrichtlinien zu stolpern. Auslöser war der Bericht der Mitchell-Kommission zu den Ursachen der seit Ende September andauernden „Al-Aksa-Intifada“. Darin wird Israel aufgefordert, den Siedlungsbau einzustellen.
Die Regierung in Jerusalem lehnte diese Forderung zunächst ab. Die Regierungsrichtlinien halten den Ausbau bestehender Siedlungen „dem natürlichen Wachstum entsprechend“ fest. Neue Siedlungen sollen nicht gebaut werden. Mit dieser Formulierung waren die Koalitionspartner im linken und im rechten Spektrum einverstanden. Während der linksgerichtete Außenminister Schimon Peres von der Arbeitspartei nun versucht, eine Kompromissformulierung in dieser Frage zu finden, drohen rechte Regierungsmitglieder mit einem Austritt aus der Koalition, sollte der Siedlungsbau eingefroren werden.
Ginge es nach Schimon Peres, dann würde der vereinbarte Siedlungsausbau innerhalb der bereits bestehenden Grenzen stattfinden. Dem Außenminister schwebt ein demografisches Wachstum anstelle eines territorialen Wachstums vor. Die Beschlagnahmung von weiterem arabischem Land würde damit künftig unterbunden werden. Informationen der Nachrichtenagentur AFP zufolge, genießt Peres in dieser Frage die Zustimmung von Scharon.
Ohne eine offizielle Stellungnahme des Ministerpräsidenten abzuwarten, drohte der rechts-gerichtete Tourismusminister Rechawam Seewi von der „Nationalen Einheit“ mit dem Austritt seiner Fraktion aus der Regierung. Der Minister für Nationale Infrastruktur, Avigdor Liebermann (Israel Beteinu), nannte den möglichen Siedlungsstopp eine „Belohnung für den palästinensischen Terror“.
Ein Misstrauensvotum ist zudem von der National-Religiösen Partei (NRP) angekündigt worden. Die Nationreligiösen stellen die stärkste Fraktion unter den Siedlern. Ein derartiges Misstrauensvotum hat bei der derzeitigen Sitzverteilung im Parlament allerdings keine Aussicht auf Erfolg.
„Israel muss sich daran erinnern, dass die Frage der Siedlungen – ähnlich wie Jerusalem, die Flüchtlinge und die Grenzen – eine Angelegenheit ist, die laut Einigung zwischen Israel und der palästinensischen Seite erst im Rahmen der End-Status-Verhandlungen behandelt werden soll“, heißt es in dem an den ehemaligen US-Senator George Mitchell adressierten Brief von Minister Dani Naveh, der im Auftrag der Regierung auf den Untersuchungsbericht antwortete. Die Kommission hatte darin festgehalten, dass „Siedlungsaktivitäten nicht die Wiederherstellung einer ruhigen Situation und der Wiederaufnahme von Verhandlungen unterminieren dürfen“.
Die Politik der rechten Fraktionen war stets, mit dem Bau neuer Siedlungen Tatsachen zu schaffen, die nicht mehr umkehrbar sein würden. Gleichzeitig betrachteten die Palästinenser die Siedlungen als eins der zentralen Hindernisse bei den Verhandlungen. Der Aus- und Neubau stellte aus ihrer Sicht eine klare Verletzung der bisherigen Abkommen dar.
Der palästinensische Unterhändler Saeb Erekat wies gegenüber dem britischen Rundfunksender BBC die Vorschläge von Peres zurück. „Wir hören das Wort ,einfrieren‘ nicht“, sagte Erekat. „Wir hören von einem Täuschungsmanöver.“ Israel wolle innerhalb der Siedlungen neue Häuser bauen, was nur eine Fortsetzung der israelischen Expansionspolitik sei. Das sei das reale Problem, sagte Erekat in dem Interview.
Die Begründung, dass „natürliches Wachstum“ Neubauten notwendig machten, trifft auf die meisten Siedlungen, die nicht in unmittelbarer Umgebung von Jerusalem liegen, ohnehin nicht zu, da bezugsfreier Wohnraum zur Verfügung steht. In einigen isoliert liegenden Siedlungen wurde bereits der Wunsch einiger Bewohner auf einen Umzug laut. Das Problem für die umzugswilligen Siedler ist, dass die Frage einer Wiedergutmachung von staatlicher Seite noch nicht geklärt ist. Die Regierung hält sich die Siedler als Joker für die Verhandlungen zurück. Im Westjordanland und dem Gaza-Streifen leben etwa 200.000 Siedler.
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