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„Ich habe auch keine Lust“

Die Volksbühne veranstaltet einen Kongress über „Recht auf Faulheit“. Das Publikum sieht weder arbeitslos noch berufstätig aus. Die Schauspieler zitieren Gewerkschafter

Drei Tage Kongress „Recht auf Faulheit“ in der Berliner Volksbühne. Nimmt man es wörtlich, geht man nur zum amüsanten Teil. Vorher noch recherchieren zur gegenwärtigen Arbeitswelt. Meinen Postboten sehe ich immer öfter nachmittags vor der billigsten Bierbar der Gegend sitzen, mein Briefkasten ist dagegen immer öfter leer, versäuft er meine Briefe?

Die letzte alte Fassade auf dem Hof wird gerade mit Putz bespritzt, olivgrün. Den mürrischen Arbeitern scheint es keinen Spaß zu machen, das geschieht ihnen recht. Die Italiener, die damals die anderen Wände gemacht haben, haben immer gesungen bei der Arbeit.

Der Wirt in der Kneipe, in der ich die gelungenste Performance des Jahres sehe, das Bundesligafinale, will, „wenn Fußball losgeht, nichts mehr zu essen machen“. Normalerweise sitzen hier immer braun gebrannte Arbeiter in karierten Hemden und telefonieren über Handy mit ihren Frauen. Jetzt ist nur einer da, der so laut brüllt, als fühle er sich als letzte Bastion gegen die Hamburger Schuluniformen mit Seitenscheitel, die den Laden heute okkupiert haben. Nachspielzeit: Tor für Hamburg, Schalke ist Meister, spontane Verbrüderung zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz. Letzte Sekunde, Bayern gleicht aus und ist Meister.

Mal sehen, wie zeitgenössisches Theater so ein Ereignis zu toppen versucht. Die Volksbühne ist halb leer, ich bin zu früh dran. Kein Raum könnte einem halb leer mehr aufs Gemüt schlagen. Das Publikum sieht weder arbeitslos noch berufstätig aus, aber darin sehr einheitlich. Die Weber von Hauptmann, oder von Castorf? „Der Fabrikant! Niemand denkt an den Fabrikanten! Aber der Fabrikant hat die Verantwortung!“ Mitten im Stück sagt Henry Hübchen: „Ihr könnt doch gehen, zwei Stunden für 20 Mark, das gibt’s in keinem Kino. Ich hab auch keine Lust.“ Einer aus der zweiten Reihe fühlt sich angesprochen und ruft dazwischen. „Mach doch mit, kriegst aber kein Geld“, sagt Hübchen. Der junge Mann kommt auf die Bühne, er wirkt so echt verwirrt, dass man es für einstudiert hält. „Das ist dieser Freiheitsbegriff, jeder macht, was er will“, sagt Hübchen und wartet, was passiert. Der junge Mann brabbelt was von Kaffee und Zeitung. „Also, ich fühl mich jetzt wirklich entfremdet“, sagt Hübchen.

Später im Stück stellt man fest, dass Kathrin Angerer auch als Tüte Pommes verkleidet und mit einer Fritte als Mütze zum Verlieben aussieht. Aber wer ist ihr denn noch nicht verfallen? „Unser Modell schafft Zukunft“, sagt ein Schauspieler mit IG-Metall-Fahne und zitiert eine Gewerkschafterrede: „Rücklagen in der Ansparzeit der Einsparzeit ... Freistellungsphase ... Flächentarifvertrag ... unser Modell schafft Zukunft.“ Die Weber haben dagegen einfach nur Hunger. So wie es groß am Bühnenhintergrund steht: „HUNGER?“

Ja, denke ich und fahre in die „Schildkröte“, wo es Steak mit Bratkartoffeln gibt. Es dauert ein bisschen, weil der Wirt selber kocht und lieber seine Ruhe hätte. Manchmal ist hier, wenn das Essen kommt, gar nicht mehr da gewesen, was man bestellt hatte.

Zurück in der Volksbühne bei den Poptarts, die gekonnt auf uncool machen und nicht so aussehen, als müssten sie schon arbeiten gehen. Der Einzige, der beim Konzert wirklich schwitzt, ist der Schlagzeuger, die Mädchen haben das nicht nötig: „Woman is the Führer of the world.“

In der Bar gegenüber schwenkt einer einen Band „Enzyklopädie der Süchte“. Die Klosteine sehen aus wie bunte Embryos zum Lutschen. In den Holztresen ist eine Welle eingearbeitet, auf die man sich stützen kann, eine gute Idee. Auf der Straße mustert mich Rosa von Praunheim. Kennt er mich, oder findet er mich attraktiv? Muss sich das eigentlich immer ausschließen? JOCHEN SCHMIDT

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