Nachwuchsdetektive im Dienste der Gerechtigkeit

Amerikanische Jurastudenten rollen mit Hilfe von Anwälten Fälle neu auf, um unschuldig Verurteilten per DNA-Test zu ihrem Recht zu verhelfen

WASHINGTON taz ■ „Es ist einfach ein wunderbares Gefühl, wenn man dann wirklich einen Unschuldigen freibekommt“, sagt der amerikanische Jurastudent Sean Basinski. Er setzt sich seit zwei Jahren für Menschen ein, die unschuldig im Gefängnis sitzen. Justizirrtümer sind in den USA nicht selten: Seit 1973 sind mehr als 90 unschuldig Verurteilte aus der Todeszelle entlassen worden. Ihre Freilassung haben sie nicht nur professionellen Juristen zu verdanken, sondern eben auch Studenten wie Sean.

Er hatte vom ersten „Innocence Project“ an der Jura-Fakultät der Yeshiva Universität in New York gehört und dort in den Sommerferien 1999 einige Monate gearbeitet. 1992 war die Initiative von den Dozenten Barry Scheck und Peter Neufeld an der Jura-Fakultät der Universität gegründet worden, um Inhaftierten zu einem möglicherweise entlastenden DNA-Test zu verhelfen. Zurück an der eigenen Universität in Washington, rief Sean ein eigenes „Innocence Project“ ins Leben; seit gut einem Jahr arbeiten nun auch dort 15 Freiwillige an fast 20 eigentlich schon abgeschlossenen Fällen.

Gemeinsam mit Rechtsanwälten aus der Hauptstadt nehmen die Jurastudenten der Georgetown Universität Gerichtsurteile zu Vergewaltigung oder Mord unter die Lupe, bei denen die Verurteilten ihre Unschuld beteuern. „Die Studenten machen das, wofür die Anwälte nebenbei keine Zeit haben“, beschreibt Juradozentin Holly Eaton die gemeinsame Arbeit für mehr Gerechtigkeit.

DNA-Tests werden zwar seit 1987 für Ermittlungen und vor Gericht eingesetzt, doch das passiert nicht automatisch. Es hängt davon ab, ob die Verteidigung oder die Staatsanwaltschaft einen genetischen Fingerabdruck beantragt. Kommt es nicht dazu und der Angeklagte wird verurteilt, kann nur noch ein „Innocence Project“ weiterhelfen.

Meist beginnt es bei Sean und seinen Mitstreitern damit, dass Angehörige sich in einem Brief an das Projekt wenden. Die Studenten nehmen dann Kontakt zu den Verurteilten auf, damit jene einen Fragebogen zu ihrem Fall ausfüllen. Erst wenn der ausgewertet ist, geht die eigentliche Arbeit los. „Das ist richtig mühselig und nur ganz selten spannende Detektivarbeit, wie man sie im Fernsehen sieht“, sagt Sean.

Die Nachwuchsjuristen wälzen oft monatelang die Akten und nehmen Kontakt mit den zuständigen Behörden und Labors auf. Was nicht immer einfach ist, wie der 28-Jährige erfahren hat: „Die meisten Beamten haben einfach keine Lust, sich um Fälle zu kümmern, die vielleicht schon zehn Jahre alt sind. Man muss hartnäckig sein und ständig anrufen. Vor allem darf man sich nicht entmutigen lassen von der Bürokratie.“

Denn es kann Jahre dauern, bis alle wichtigen Informationen aufgetrieben sind. „Die ganze Zeit über müssen wir uns die Frage stellen: Macht ein DNA-Test Sinn? Wird die im Laufe der Ermittlungen mit Nein beantwortet, ist die Sache vorbei“, erklärt die Dozentin Eaton.„Und das ist dann besonders hart, wenn man schon sehr viel Zeit und Hoffnung hineingesteckt hat.“

Erst ganz am Ende der langwierigen Arbeit steht also die alles entscheidende Gen-Untersuchung. Zeigt der Test, dass es sich bei dem alten Beweismaterial nicht um Samen, Blut oder auch Haar des Verurteilten handelt, wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Nur sie kann entscheiden, ob der Fall offiziell wieder aufgerollt wird oder nicht. „Natürlich kann die Staatsanwaltschaft den Fall zurückweisen. Aber seit einiger Zeit ist auch durch die vielen neuen Projekte der öffentliche Druck so groß, dass sie das kaum noch wagen“, so Eatons Erfahrung.

Ein Vergleich der DNA ist nicht gerade billig: Etwa 3.000 Dollar (rund 6.600 Mark) müssen die Verhafteten dafür hinlegen. Oftmals hilft die Familie aus. Wenn die Angehörigen von der Unschuld überzeugt sind, versuchen sie, das Geld im Bekanntenkreis oder in der Kirche zu sammeln. Aber es gibt auch andere Wege, weiß Eaton: „Ein Häftling hat sich alles mühsam von seinem kargen Gefangenenlohn zusammengespart.“

Doch so nach und nach ändert sich etwas in der amerikanischen Justiz. In den vergangenen anderthalb Jahren haben auch 15 der 50 Bundesstaaten erkannt, wie wichtig ein nachträglicher Test sein kann, und kommen für die Kosten auf. Selbst Texas – das Land mit den meisten Hinrichtungen – lässt seit einem Monat nachträgliche Tests zu. Im konservativen Virginia hat Gouverneur James S. Gilmore Anfang Mai ebenfalls ein entsprechendes Gesetz unterschrieben.

Dass die amerikanische Justiz auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit ist, zeigt auch das Urteil des Bundesrichters Albert Bryan: Er sprach Mitte April als erster Bundesrichter einem Verurteilten ein verfassungsmäßiges Recht auf eine nachträgliche DNA-Untersuchung zu. Sein Urteil ist zwar nicht bindend, weist aber die Richtung für weitere Entscheidungen. Und vielleicht für weitere Erfolge der „Innocence Projects“. ULRIKE KLODE