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Die Todesspinnen im Feuchtgebiet

Die Airbus-Realisierungsgesellschaft hat bereits 200.000 Tonnen Sand im Mühlenberger Loch versenkt. Die Spundwände, befürchten Kritiker, zieht niemand mehr raus  ■ Von Gernot Knödler

Thomas Müller nennt sie „Todesspinnen“. Von dort, wo er wohnt, muss der Blankeneser Airbus-Gegner jeden Tag mit ansehen, wie eine ganze Armada langarmiger Bagger und Kräne das Mühlenberger Loch belagert. Fast 200.000 Kubikmeter Sand haben sie bereits hineingeschüttet sowie Dutzende von Spundwand-Elementen und Stützpfählen versenkt. Eine elf Hektar große Teilfläche im Nordosten des insgesamt 140 Hektar umfassenden Gebiets soll bereits in der ersten Juni-Hälfte vollständig eingedeicht sein. Dort wird die erste neue Werkshalle entstehen, in der die Rumpfsegmente des Riesen-Airbus A 380 zusammengeschweißt werden. Spitzenprodukte der Ingenieurskunst – mitten in einem international geschützten Feuchtgebiet.

Die städtische Realisierungsgesellschaft für die Teilzuschüttung der Finkenwerder Elbbucht „A 380 rea“ hatte zum Ortstermin in der Elbbucht eingeladen. Journalis-ten und Werksvertreter sollten vom zügigen Fortgang der Bauarbeiten überzeugt werden.

„Wir sind im Zeitplan“, versicherte Area-380-Projekt-Koordinator Bodo Fischer – in einem Zeitplan, der allerdings durch den vorübergehenden Baustopp zum Jahreswechsel etwas ins Rutschen kam. Nichtsdestotrotz muss der Deich mit Beginn der Sturmflut-Saison im Oktober aufgeschüttet sein. Mit dem Setzen könne er sich dann noch ein wenig Zeit lassen, meinte Fischer.

Der Deichbau ist der erste Schritt, um im Watt festen Boden unter die Füße zu kriegen. Er schließt die Tide aus, so dass in einem zweiten Schritt lagenweise Sand auf den Schlick gerieselt werden kann. Dann wird das Wasser herausgesogen, so dass fester Boden entsteht. Die an die 50 Meter hohen Werkshallen wird er aber nicht tragen können. Sie müssen auf Pfähle gegründet werden, wie alle großen Gebäude am Elbstrand.

Damit der Deich, der die West- und Südseite der neuen Halbinsel einschließen soll, nicht im Schlick versinkt, wird er auf 62.000 Sandsäulen gesetzt. Von 20 schwimmenden Arbeitsplattformen aus senken Arbeiter zunächst ein Stahlrohr so weit in die zwei bis zehn Meter dicke schwabbelige Masse, bis sie festen Grund erreichen.

In das leergepumpte Rohr wird ein Plastik-Strumpf gesteckt, den ein großer gelber Bagger, wie er auf jeder der Arbeitsplattformen hin und her fährt, über einen Trichter mit Sand füllt. Dann wird das Stahlrohr wieder herausgezogen. Am Ende werden zehn bis 20 Prozent der Grundfläche des Deichs aus solchen Sandsäulen bestehen.

Steht der Deich, spülen die Arbeiter Sand auf das Watt. Er fließt durch eine Leitung, die von großen orangefarbenen Schwimmern getragen wird und soll sich schön gleichmäßig verteilen, um Schlickbrüche zu vermeiden. „Das ist, wie wenn Sie einen Löffel Zucker auf einen Joghurt geben“, sagte Reinhard Stadie, der bei Area 380 für das Bauprojekt verantwortlich ist, „er sackt durch.“ Mit dem unerwünschten Effekt, dass an anderer Stelle Schlick nach oben gedrückt wird. Lage um Lage soll eine zweieinhalb Meter dicke Sandschicht auf das Watt gerieselt werden, das anschließend entwässert wird. Elf bis 13 Millionen Tonnen Sand will Area 380 dafür und für die Deiche in die Finkenwerder Elbbucht schütten.

Woher diese Riesenmenge kommen soll, ist noch immer nicht vollständig geklärt: 1,5 Millionen Tonnen werden Stadie und Fischer zufolge vom Giesensand geholt, weitere 2,3 Millionen soll die Abbaggerung von Hahnöfersand bringen, gegen die allerdings zwei Klagen anhängig sind. Wieviel der Jadebusen, Cuxhaven, das Feld „Delfin“ vor Scharhörn und die Unterhaltungsbaggerungen in Hamburg liefern werden, ist offenbar unklar. Ein Teil des Sandes aus Cuxhaven muss später von Hamburg ersetzt werden. An der Nordseite der künstlichen Halbinsel gibt es kein Sandproblem. Um sie vom Strom zu trennen, rütteln Maschinen zurzeit 40 Meter lange Stahlbleche in den Elbgrund.

Thomas Müller im Treppenviertel wird hiervon kaum was hören, so vorsichtig wird gerüttelt. Die letzten zwei Meter müssen die Spundwände allerdings mit großem Getöse gerammt werden. Zwei Stunden reine Rammzeit zwischen sieben und 20 Uhr sind den Firmen gerichtlich zugestanden worden. Für Müller bedeutet das zweierlei: den Vorgeschmack auf den wachsenden Fluglärm und das, was die Todesspinnen trotz laufender Gerichtsverfahren so gefährlich macht: „Die Spundwände wird keiner mehr rausziehen“, sagte er ein wenig resigniert.

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