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Halblegale Aktionen

■ Nach dem Prozess um die Vergewaltigung im Imbiss „Toros“ diskutieren Frauen Alternativen zu Anzeige und Strafprozess

„Strafe, Rache, Widerstand – Vergewaltigung anzeigen?“ Die autonome Frauengruppe gegen sexualisierte Gewalt hatte am Montagabend in das DGB-Haus eingeladen, um Rechte und Möglichkeiten von vergewaltigten Frauen zu diskutieren. Moderatorin Anneliese Niehoff betonte, dass der „Toros-Prozess“ nur der „Motor“ für die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema war. Der Prozessverlauf um eine angezeigte Vergewaltigung durch mehrere Männer im Keller des Viertel-Imbiss „Toros“ (die taz berichtete) hatte Frauen in extremer Weise vor Augen geführt, mit welchen Demütigungen sie im Falle eines Strafprozesses rechnen müssen.

Und das, obwohl die auf die Vertretung von Vergewaltigungsopfern spezialisierte Bremer Rechtsanwältin Bettina Scharrelmann eine positive Bilanz der Veränderungen in Strafrecht und Bewusstsein zieht. Mit einer Ausnahme: „Die Richterschaft ist die fortbildungsresistenteste Berufsgruppe“. Ulrike Sander vom Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen beschrieb das Verhalten von Vergewaltigungsopfern. „Sie wirken vor Gericht gefasst oder machen wegens des Schocks widersprüchliche Aussagen.“ Beides weicht ab vom „Klischee der weinenden Frau“ und werde den Frauen von ignoranten Richtern zum Nachteil ausgelegt. Richter, die keine Ahnung haben, wie Vergewaltigungsopfer reagieren und handeln können, setzen dem Trauma Vergewaltigung noch eins drauf.

Die Veranstalterinnen wollten ausdrücklich zeigen, dass eine Nicht-Anzeige nicht heißt, dass eine Frau auf ihrer Wut und ihrem Schmerz sitzenbleiben muss. Unter dem Stichwort „Rache“ fasste Franziska Binder Aktionen von Frauen zusammen, die ihre Peiniger ohne staatliche Vorgaben strafen wollen. Hinter den „halblegalen“ Aktionen wie dem Verteilen von Warnzetteln, dem Informieren von Angehörigen und Freunden oder Sachbeschädigung stecke aber auch das Bedürfnis, dass die Täter gesellschaftlich geächtet werden. „Knast hat ja auch immer eine Entlastungsfunktion“, sagte Binder. Vergewaltigung sei kein Verbrechen einzelner Extremtäter. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen verbaler und körperlicher Anmache und Vergewaltigung“, war die Meinung im Publikum.

Der Vorteil der selbst organisierter Gegenwehr sei auch, dass die Frau die Dauer und das Ende selbst bestimmen könne. Dieser Ansicht widersprach Sander vom Notruf vehement. „Ich habe noch nie erlebt, dass die Racheaktion von den vergewaltigten Frauen selbst initiiert wurde.“ Stattdessen würden FreundInnen und Verwandte die Sache in die Hand nehmen. Kontrovers diskutiert wurde auch die Frage, inwiefern die Unterstützung durch Frauengruppen der vergewaltigten Frau den Rücken stärkt. „Solidarität kann auch eine Grenzüberschreitung sein“, gab eine Frau aus dem Publikum zu bedenken. Wenn nämlich die Erfahrung der Einzelnen für die Zwecke einer Gruppe instrumentalisiert würde.

Die Frage „Vergewaltigung anzeigen?“ ließ sich nicht allgemein beantworten. Die voll besetzte Veranstaltung und der umstrittene Toros-Prozess zeigen, dass es noch viel Diskussions- und Handlungsbedarf gibt.

Eiken Bruhn

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