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Lust sieht anders aus

Sechs Stunden dauert die Schicht, 34 Mark in der Stunde beträgt der Verdienst. Alltag in einer Internetpeepshow

aus Hamburg JENNI ZYLKA

Die Frau mit der blonden Dreadlockperücke liegt nackt und breitbeinig auf der Hantelbank. Mit der rechten Hand fingert sie sich zwischen den Beinen herum. Wie um die unbequeme Lage auf dem harten Sportgerät zu erleichtern, hat sie die andere Hand hinter den Kopf gesteckt. Beiläufig fragt sie: „Sag mal, weißt du, ob man hier in Hamburg Publizistik studieren kann?“

Ich weiß nicht, wohin ich schauen soll, bin es nicht gewöhnt, anderen Frauen beim Onanieren zuzugucken, und stammele: „Äh, ich glaube ja, ich, äh, bin nämlich nicht aus Hamburg.“ Außer mir stört sich niemand an der Nacktheit. Weder die beiden Frauen selbst, die sich hin und wieder Dessous anziehen, um sie gleich wieder herunterzustrippen, noch die Chatterin, die in der Mitte des niedrigen Kellerraumes sitzt, vor sich zwei Computer. Die Digitalkameras, die das Ganze live ins Internet übertragen, fallen kaum auf. Sie sind auf Stangen angebracht, so groß wie aufgeklappte Portemonnaies, und blicken in Richtung der Models.

Models, so nennen sich die Frauen, die in der Produktionsstätte in dem gutbürgerlichen Vorort von Hamburg arbeiten. Die genaue Adresse bleibt geheim, damit die Gäste nicht vor der Tür stehen und die Netz-Nackten anfassen wollen. Die Firma „Service für Sie“ produziert Inhalte für Live-Stream-Anbieter: Wenn jemand ein Erotikportal im Internet eröffnet, kann er den Content von der Firma kaufen und ins Netz stellen. Unter anderem wird die Live-Sexcam-Seite von Larry Flints Hustler beliefert, und auch Beate Uhse stellt Livesex ins Netz. Unter der jeweiligen Internetadresse meldet sich der Kunde an und schaut für zirka vier Mark pro Minute den Frauen zu. Sechs bis elf Models sind immer online. Der Kunde kann mit ihnen chatten: Unter einem Usernamen schreibt er, was er möchte, die Chatterin gibt es weiter und antwortet.

Den Cam-Bereich Wohnung im ersten Stock des Hauses zeigt mir Deike Klapproth, der langhaarige Produktionsleiter, zuerst über den Computer in seinem Büro. So sehe ich, was auch der User sieht: Auf dem relativ feinkörnigen Bild erkennt man ein Bett im Halbdunkel, darauf liegt eine formenstarke Frau im Slip und schläft. Rondra. In ihrem Internetsteckbrief steht „Ich mag gerne: französisch, spanisch, Kuschelsex“. „Die wecken wir mal auf“, sagt Deike. Wir gehen an ein paar Wohnungstüren vorbei und klingeln. Die Wohnung besteht aus einem Wohnzimmer mit blauer Couchgarnitur (eine Kamera), der Ecke mit dem Bett (eine Kamera), dem Bad mit Dusche und WC (je eine Kamera) und der Küche (keine Kamera). Sie sieht aus wie eine Musterwohnung im Möbel-Hübner-Katalog und scheint unbewohnt, bis auf Rondra und ein Gläschen farblosen Nagellacks auf dem Plastikholz-Couchtisch. „Die Mädchen, die nicht aus Hamburg sind, können hier während der Arbeit wohnen“, erklärt Deike, „das ist doch ganz praktisch.“

Aus der Voyeurswohnung gehen wir in die erste Etage des Hinterhauses zu einer Hardcoreproduktion, der „Lesbenshow“: Hier fläzen sich Romy und Isabel auf einem satinbespannten Doppelbett. In dem durch die Filmlampen aufheheizten Raum mit den heruntergelassenen Jalousien hängen weiße Regenschirme als Lichtblenden an der Decke. Im Radio singt Ricky Martin. Der Computer steht gegenüber, das kabellose Keyboard liegt auf dem Bett: Romy und Isabel chatten selbst. Hinter dem Bett versucht ein Bild mit einer Winterlandschaft von der Hitze abzulenken.

Romy und Isabel kommen aus Polen, sind 23 und 24 Jahre alt und schon sehr lange in Deutschland. Romy hat ein auffallend hübsches Gesicht, einen langen blonden Zopf und trägt Bernsteinschmuck; Isabel ist blond, hat strahlend blaue Augen und enorme Brüste. Am Oberkörper, unter den zierlichen Armen, prangen etwa vier Zentimeter lange, noch etwas gerötete Narben: Sie hat sich vor ein paar Wochen je 260 Gramm schwere Silikonkissen in den Busen operieren lassen. „Für mich, nicht für den Job!“. Die sonnenstudiobraunen Brüste stehen ab wie Basketbälle.

Romy studiert im dritten Semester Medizin. Sie ist mit Isabel, die ihr Studium für den Job unterbrochen hat, auch privat befreundet. „Sonst könntest du das gar nicht machen!“, sagt Romy mit blitzenden Augen. Machen sollten sie, was die Männer fordern. Sollten sie, müssen sie aber nicht. „Das Beste daran ist“, sagt Romy, „dass man die Männer nicht sieht.“ Man sieht auf dem Bildschirm nur, wer gerade virtuell den Raum betritt. Beispielsweise „Sheriff“: „hallo sheriff“, tippen Romy und Isabel ein. „saugt doch mal an euren nippeln“, schreibt er. Eine von beiden hält meistens ein Bein angewinkelt hoch, die per Fernbedienung selbst justierbare Kamera zoomt zwischen die Beine.

So haben die Kunden zu Hause vor dem Computer das Bild, das sie brauchen. Romy und Isabel unterhalten sich, nachdem sie die wichsenden Männer nach ein paar Minuten ausgeblendet haben. Über Männer, Frauen, über die Freunde der beiden, die auch schon da waren und gesehen haben, dass „das alles harmlos ist wie Strippen. Ich muss ja hier mit niemandem schlafen! Das ist nur eine Show!“, sagt Romy. „Besser, mein Freund würde sich so etwas angucken, als wenn er in den Puff ginge“, überlegt Isabel. Dann reden wir über falsche Brüste und falsche Erregung und warum Männer etwas sexy finden, was so offenkundig das Gegenteil von sexy ist. Haben die mehr Fantasie? Oder weniger?

Hin und wieder ist niemand im Chat, dann steigen Isabel und Romy sofort in BH und Höschen. Sie sitzen nicht gerne nackt herum. Auch die Männer haben Schamgrenzen: Als Romy Isabel scheinbar einen Vibrator einführt (in Wirklichkeit ist er ist aus flexiblem Gummi und biegt sich weg), tippt einer: „Wäre so ein geiler, harter S... nicht viel besser?“, als ob er zu schüchtern wäre, um „Schwanz“ zu schreiben.

Echten Kontakt mit den Kunden haben Romy und Isabel noch nie gehabt. Obwohl die sich ständig verabreden wollen. „Manchmal schicken sie Fotos, ganz schreckliche“, sagen die beiden. Deike, der Produktionsleiter, behauptet, dass von den acht Millionen Menschen, die sich im Monat angeblich auf die Seite klicken, zwanzig Prozent Frauen sind. Aber Romy und Isabel chatten fast ausschließlich mit Männern, wenn überhaupt, dann gibt sich ein Mann mal einen Frauennamen.

„Für mich ist das auch krank“, sagt Romy. „Frauen würden das doch nie machen!“, würden sich keinen runterholen am Computer, in der Mittagspause im Büro (die höchste Quote ist zwischen 10 und 15 Uhr) oder zu Hause am Schreibtisch, vor dem Bild eines Mannes, der seinen Schwanz streichelt. Obwohl man dabei sehen könnte, ob er erregt ist.

Nachdem sich die Frauen nach sechs Stunden Schicht vor der Kamera angefasst und unterhalten haben, auf „ich spritz dir auf die titten“ und „weißt du, warum ich longjohnsilver heiße?“ geantwortet haben, ziehen sie sich an, setzen die Perücken ab und fahren nach Hause. 34 Mark pro Stunde haben sie im Durchschnitt verdient. Den Männern, so hoffen sie, begegnen sie nie.

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