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Berlin ist eine Pleite wert

Dass der Bittgang fällig ist, war klar. Dass er so schnell fällig ist, kam überraschend. Die Hauptstadt muss beim Bund betteln. Und der lässt sich bitten

aus Berlin RALPH BOLLMANN

Nun also doch. Gestern Vormittag tat der Berliner Finanzsenator Peter Kurth (CDU), was er seit seinem Amtsantritt vor anderthalb Jahren um jeden Preis vermeiden wollte: Er setzte sich in seinen Dienstwagen und ließ sich von seinem Amt ins Bundesfinanzministerium chauffieren, dessen wuchtige Mauern sich gleich neben dem Landesparlament des bankrotten Stadtstaats erheben. Mit seinem Amtskollegen Hans Eichel (SPD) erörterte Kurth die Frage, wie der Bund den klammen Berlinern aus der Patsche helfen könnte.

Mindestens vier Milliarden Mark muss Kurth kurzfristig auftreiben, um die mehrheitlich landeseigene Bankgesellschaft vor der Pleite zu retten – immerhin ein Zehntel des gesamten Landeshaushalts. Das Missmanagement im Immobiliengeschäft, verantwortet vom ehemaligen Fraktionschef und frisch gebackenen CDU-Landesvize Klaus Landowsky, hat die sechstgrößte Bank der Republik an den Rand des Ruins geführt (siehe unten). Es geht um 15.000 Arbeitsplätze und um das Geld von 3,3 Millionen Privatkunden unter anderem bei der örtlichen Sparkasse, die – bundesweit einmalig – vor sieben Jahren in der Aktiengesellschaft aufgegangen war.

Ohne die Bankenkrise hätte Kurth den Bittgang zu Eichel zwar aufschieben, aber nach Einschätzung von Experten kaum vermeiden können. „Ohne Hilfe von außen ist der Haushalt der Hauptstadt nicht zu sanieren“, konstatierte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereits Anfang Februar – noch vor Bekanntwerden des neuen Milliardenlochs. Mittlerweile gibt der Stadtstaat weit mehr als jede vierte Steuermark für Zinsen aus. Damit ist Berlin noch höher verschuldet als die westdeutschen Zwergstaaten Saarland und Bremen, die 1992 vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich auf Bundeshilfen geklagt hatten.

Weniger gut ergeht es den Gemeinden, die über ihre Verhältnisse gewirtschaftet haben oder die steigenden Ausgaben für die Sozialhilfe nicht mehr bezahlen können. Sie werden automatisch einem Zwangsverwalter unterstellt, der fortan jeden einzelne Ausgabe genehmigen muss. Viele westdeutsche Großstädte konnten sich in den Neunzigerjahren nur mit einem rigiden Sparkurs vor einem solchen Notstand retten. Schwimmbäder und Theater wurden geschlossen, Gebühren für Abwasser und Müllabfuhr drastisch erhöht, viele Stellen in der Verwaltung abgebaut.Die Hauptstadt hat damit erst 1995 begonnen – fünf Jahre nach dem Wegfall der Berlin-Subventionen durch die deutsch-deutsche Vereinigung. Dadurch hat der schwarz-rote Senat einen Schuldenberg von mittlerweile 65 Milliarden Mark aufgetürmt.

Anders als bei den Kommunen gibt es bei den Bundesländern jedoch keine festen Regeln für den Fall einer drohenden Pleite. Entweder, der Bund und die übrigen Länder entscheiden sich politisch für eine höhere Unterstützung – oder das betroffene Land beschreitet den juristischen Weg über das Karlsruher Bundesverfassungsgericht, wie es Bremen und das Saarland vorgemacht haben.

Die beiden Länder erhalten seit 1994 Milliardenbeträge vom Bund. Im Gegenzug mussten sie sich verpflichten, jährlich einen „Sanierungsbericht“ vorzulegen und die Ausgaben um höchstens 1,5 Prozent steigen zu lassen. Weiter gehende Eingriffsmöglichkeiten, in Berlin unter dem Schlagwort eines „Sparkommissars“ an die Wand gemalt, lässt das verfassungsmäßig garantierte Föderalismusprinzip nicht zu.

Die Hoffnung, die maroden Haushalten der betroffenen Länder ließen sich auf diese Weise innerhalb von zehn Jahren sanieren, hat sich an Saar und Weser allerdings nicht erfüllt. Schon jetzt drängen sie in den Verhandlungen über den Finanzausgleich darauf, dass sie auch über das Jahr 2004 hinaus zusätzliche Hilfen erhalten. Nicht anders ergeht es dem amerikanischen Regierungssitz Washington D.C., der seit eh und je am Tropf des Gesamtstaats hängt. Mit dem Geld kam die Stadt, die erst seit 1974 über eine begrenzte Selbstverwaltung verfügt, nie aus.

Auch die deutsche Hauptstadt, so fürchten Bundespolitiker, könnte sich als ein Fass ohne Boden erweisen. Ohne einen formellen Offenbarungseid wollen sie deshalb kein Geld herausrücken. Berlin müsse erst einmal „mit den eigenen Möglichkeiten Klarheit schaffen“, sagt Jörg-Otto Spiller, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Finanzen in der SPD-Bundestagsfraktion. Von sich aus werde der Bund dem Stadtstaat jedenfalls kein Angebot unterbreiten.

Wenn der Bund eines Tages tatsächlich zahlt, dann war das – ironischerweise – ein später Sieg des gescheiterten Bankmanagers und CDU-Politikers Landowsky. Wenn die Obdachlosen erst einmal auf den Stufen des Reichstags säßen, so hatte der Westberliner Filzokrat seine laxe Haushaltspolitik einmal gerechtfertigt, dann könne es sich die Bundesregierung gar nicht mehr leisten, die verarmte Hauptstadt einfach hängen zu lassen.

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