: Westberliner Veteranenprosa
20 Jahre nach den Hausbesetzungen lud die taz zum Salon. Vier Altgediente kamen, sahen und erinnerten sich: an ihre Konflikte und einen gestürzten Senat. War’s das?
Vielleicht war es ja ein Wink mit dem Zaunpfahl. Just in jenen Tagen, in denen die Bankgesellschaft ganz Berlin mit in ihren Untergang zieht, lud die taz erstmals zum Salon. Und natürlich mag sich manch einer gefragt haben, warum ausgerechnet „Gefühl und Härte – 20 Jahre Häuserkampf in Berlin“ das Auftaktthema geben sollte. Aber halt, da war doch was! Hat nicht genau vor zwanzig Jahren ein Immobilienskandal namens Garski-Affäre den Westberliner SPD-Senat gestürzt, und hat die „Bewegung“ nicht kräftig dabei mitgeholfen?
Reichlich Diskussionsstoff hätte es also gegeben an jenem Abend, an dem gleich vier Veteranen anwesend waren: Michael Sontheimer, einst taz-Begründer, nun London-Korrespondent des Spiegel, Michael Wildenhain, einst Hausbesetzer und später der literarische Chronist der Bewegung, Rachel Jaeggi, damals jugendliche Akteurin, heute Sozialphilosophin, sowie Uschi Volz-Walk, damals Aktivisten und heute immer noch. Doch die bloße Anwesenheit von Sontheimer genügte, um eine Diskussion wieder aufleben zu lassen, die 1981 zwar im Vordergrund stand, heute aber nur noch wie eine Botschaft von einem fremden Stern wirkt. Es ging um die „Verhandler“ und um die „Nichtverhandler“, oder, wie es Sontheimer sagte, „um die, die ein paar Freiräume wollten, und um jene, die es unterhalb der Weltrevolution nicht machten“.
Das konnten die drei andern, allesamt ehemalige Nichtverhandler, natürlich nicht auf sich sitzen lassen. „Auch wir wollten Freiräume, wir wollten sie nur ausweiten und andere Fragen stellen“, meinte Rachel Jaeggi. Michael Wildenhain stellte die Frage nach der Rolle der taz, insbesondere des Berlin-Teils, und Sontheimer musste zugeben, dass man damals mit der taz-Politik machen wollte und nicht gerade professionell, sprich pluralistisch mit jenen Kontroversen umgegangen sei. Westberliner Veteranenprosa halt.
Dass das alles ein bisschen wie eine Talkrunde von Alfred Biolek wirkte, ein bisschen erinnern da, ein bisschen nachfragen dort, dafür sorgte allein schon das Ambiente. Tiefe Ledersessel vor Palmendekor ließen einen zugleich in die gute alte Zeit sinken, und auch der Film, der zuvor gezeigt wurde, war ganz lustig, weil man schon vergessen hatte, wie lang man damals die Haare trug, selbst die Bullen hatten noch Koteletten. Und hinterher sagte keiner was zum Interview mit Klaus-Jürgen Rattay. „Ich bin nach Berlin, um hier mitzukämpfen“, hatte Rattay gesagt, „weil ich mich hier wohler fühle, weil hier weniger Zwang herrscht.“ Kurze Zeit später war Rattay tot, nach der Räumung von acht Häusern von der Polizei vor einen BVG-Bus getrieben. Die „Berufs-Berliner“ feixten: „Geschah ihm recht, war eh kein Berliner.“ Veteranenprosa der Rosinenbombergeneration.
So war das damals. Aber wie ist es heute? Was bleibt von 1981? „Das wunderbare Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, das Richtige gemacht zu haben“, meinte Michael Wildenhain, „das hatte ich vorher nicht und das werde ich auch künftig nicht mehr haben.“ „Ich schon“, konterte Uschi Volz-Walk, beinahe trotzig, als ob die Vergangenheit immer noch präsent wäre und nur von einer neuen Bewegung entdeckt werden müsste. „Wenn der letzte 68er im Grab vermodert ist, werden die Feuilletons immer noch über 68 schreiben, über 81 tun sie es schon heute nicht mehr“, warf Sontheimer ein und versuchte zugleich eine Antwort. „68 war der erste Bruch, und fortan musste jede neue Bewgung erst ihre Vorgänger schlachten.“
So blieb am Ende bloß die Feststellung, dass die „Bewegung“ nicht nur einen SPD-Senat stürzte, sondern auch die Alternative Liste ins Parlament und die CDU an die Regierung brachte. Die Hausbesetzer als Geburtshelfer des Systems Diepgen/Landowsky. Aber das ist ja auch schon zur Hälfte untergegangen. Und Eberhard Diepgen hat die Niederschrift seiner Veteranenprosa noch vor sich. UWE RADA
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen