: Keine Presse in Algerien
MADRID taz ■ Algeriens Kioskbesitzer erwartet heute ein ruhiger Tag: Gleich 21 unabhängige Tageszeitungen erscheinen nicht. Sie protestieren mit diesem „Tag ohne Presse“ gegen die Verschärfung des algerischen Strafrechtes, dass Strafen von bis zu zwölf Monaten Haft oder Geldbußen bis 250.000 Dinar (rund 7.500 Mark) für all diejenigen vorsieht, die künftig den Präsidenten oder andere Würdenträger und Institutionen des Staates beleidigen. Zum Vergleich: Ein Journalist verdient etwar 10.000 Dinar monatlich.
In den Straßen der Hauptstadt Algier dürfte es heute wieder so aussehen wie einst im 1988 zusammengebrochenen Einparteiensystem: Nur die staatseigenen Publikationen zieren die Auslagen der Kioske. In elf Städten haben die unabhängigen Herausgeber, die Nationale Journalistengewerkschaft sowie mehrere Bürgerinitiativen und Parteien zu Kundgebungen vor den Gerichten aufgerufen. Für die größte frankophone Tageszeitung des Landes, El Watan, ist der Aktionstag ein „Test für die Zivilgesellschaft, die nicht in Ruhe zuschauen kann, wie ein Damoklesschwert alle Bürger bedroht“.
Der umstrittene neue Artikel 144 des Strafgesetzbuches soll diese Woche die letzte Hürde nehmen und dem Nationalrat vorgelegt werden, dessen Zustimmung als sicher gilt: Ein Drittel der Vertreter dieser zweiten Kammer des algerischen Parlaments sind von Präsident Abdelaziz Bouteflika direkt bestimmt. Und unter den restlichen gewählten Mitgliedern haben die Regierungsparteien ebenfalls die Mehrheit.
Schon bisher verurteilten die Gerichte immer wieder Journalisten wegen Beleidigung von Amtspersonen zu Haftstrafen. So mussten Anfang April zwei Journalisten von der in Oran erscheinenden Tageszeitung La Voix d’Oranie für ein halbes Jahr hinter Gitter. Sie hatten einen Artikel über die Verwicklungen der örtlichen Mafia mit der Gemeindeverwaltung veröffentlicht.
Anders als in diesem Fall wird es künftig nicht mal eines Klägers bedürfen. Der neue Artikel 144 ermächtigt die Staatsanwaltschaft auch dann zu ermitteln, wenn gar keine Anzeige vorliegt. „Das führt zu offener Zensur und Selbstzensur“, warnen die Herausgeber der unabhängigen Tageszeitungen. Der heutige „Tag ohne Presse“ sei daher kein Schweigen, sondern „vielmehr ein Aufschrei“, schrieb gestern El Watan. REINER WANDLER
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