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It’s the Media, Stupid

Beim Wahlkampf in Großbritannien setzt Premierminister Tony Blair ganz auf die mediengerechte Inszenierung seiner Labour-Regierung. Und auf einen Pressesprecher, der Journalisten verachtet

aus Hartlepool RALF SOTSCHECK

„Es war die Sun, die es gemacht hat“, verkündete die Boulevardzeitung nach den britischen Parlamentswahlen vor vier Jahren stolz auf der Titelseite. Das Blatt, bis dahin stets auf Seiten der Tories, war kurz vor den Wahlen umgeschwenkt und hatte die Leser aufgefordert, Labour die Stimme zu geben.

Vermutlich würde Premierminister Tony Blair der Sun Recht geben, darauf deutet jedenfalls der Deal hin, den er mit Rupert Murdochs Massenblatt diesmal gemacht hat: Für die erneute Unterstützung steckte er der Sun „exklusiv“ das Datum der Wahlen am 3. Mai – in Großbritannien entscheidet der Premierminister, wann innerhalb eines Rahmens von fünf Jahren gewählt wird. Zwar hatten auch alle anderen Zeitungen auf den 3. Mai spekuliert, aber die Sun durfte aus offizieller Quelle berichten. Fast wäre die Sache schief gegangen, musste Blair die Wahlen doch wegen der Maul- und Klauenseuche verschieben. Er rettete die Situation, indem er der Sun zuerst verriet, dass nun eben am 7. Juni gewählt würde.

Blair setzte auf seinem Weg in die Downing Street von Anfang an auf die Medien. Als er sich nach dem plötzlichen Tod des damaligen Labour-Chefs John Smith 1994 um dessen Nachfolge bewarb, sagte er zu seinen Wahlhelfern: „Wir müssen kapieren, dass die Medien das einzige sind, was bei dieser Kampagne eine Rolle spielt. Die Medien, die Medien und die Medien.“ Das gilt noch mehr, seit er die Labour Party umgekrempelt und zu einer Partei der Mitte gemacht hat. Die Parteitage, früher der Ort lebhafter politischer Debatten, sind inhaltsfreie Medienereignisse geworden.

Handverlesene Wähler

Und auch der Wahlkampf ist so organisiert, dass Blair und sein Kabinett nur auf handverlesene Wähler treffen sollen, die als Staffage für Fotos und Fernsehbilder dienen. Das gelingt nicht immer, wie Blair und sein Stellvertreter John Prescott erfahren mussten. Der eine wurde minutenlang vor laufenden Kameras von einer Frau heruntergeputzt, weil sie über den Zustand des britischen Gesundheitssystems erbost war, der andere wurde vor versammelten Medien mit einem Ei beworfen und rächte sich beim Attentäter mit einem Fausthieb.

Die Parteizentrale glaubt, dass die TV-Anstalten solche Szenen absichtlich heraufbeschwören, indem sie Labour-Kritikern heimlich den Terminplan der Politiker zustecken. Labour-Generalsekretärin Margaret McDonagh behauptete in einem vertraulichen Brief, der der Presse zugespielt wurde, dass die BBC einen Bauern mit einem Mikrofon verkabelt hatte, bevor er Blair verbal attackierte. Die Fernsehdirektoren weisen die Anschuldigungen weit von sich und beschweren sich umgekehrt, dass sie von der Labour-Pressestelle nur noch in letzter Sekunde über öffentliche Auftritte von Blair & Co. informiert werden und kaum Zeit haben, ihre Kamerateams loszuschicken.

Blairs Pressesprecher hat für solche Beschwerden höchstens Spott übrig: Alastair Campbell verachtet Journalisten. Vielleicht liegt es daran, dass er früher selbst einer war und für Boulevardblätter gearbeitet hat, bei denen es auf wahrheitsgetreue Berichterstattung nicht sonderlich ankam. Bereits auf der ersten Pressekonferenz nach Labours Wahlsieg vor vier Jahren schlug Campbell einen Ton an, den er seitdem beibehalten hat: „Okay, ihr Bastarde“, begrüßte er die Pressevertreter, „erklärt mir, warum ich meine Zeit mit euch Wichsern verschwenden soll, wenn ihr doch nichts von dem schreibt, was ich euch erzähle?“

Campbell ist mächtiger in der Labour Party als sämtliche Kabinettsmitglieder, Blair sucht stets seinen Rat und hört fast immer auf ihn. Der Pressesprecher schreibt auch die meisten Reden für den Premierminister, wobei der frühere Boulevardjournalist deutlich durchschimmert: Die Sätze sind kurz und knapp, oft enthalten sie kein Verb.

Gewendeter Linker

Eigentlich passen Blair und Campbell gar nicht zueinander. Während Blair Pläne schmiedete, die Partei zu zähmen und den linken Flügel zu demontieren, stand Campbell ebendiesem Flügel sehr nahe. Er predigte Klassenkampf, verwünschte die Art von Privatschulen, auf die Blair seine Kinder schickte, beleidigte die königliche Familie und machte sich über Prinzessin Diana lustig. Als sie in einem Tunnel von Paris starb, war Campbell bereits gewendet. Er erfand den Begriff „The People’s Princess“ – Volksprinzessin.

Campbell hat der Partei im Auftrag Blairs eine solche Disziplin aufoktroyiert, dass viele Labour-Veteranen von Stalinismus sprechen. Mit den Medien geht er ähnlich autoritär um, und überraschenderweise geht diese Taktik auch hier auf. Die meisten Journalisten kuschen vor ihm und scheinen ihn für die Fäkalsprache, die er ihnen regelmäßig an den Kopf wirft, sogar zu bewundern. Nach den Wahlen soll Campbell einen neuen Posten bekommen. Er soll nicht länger „Spin Doctor“ sein, der den Nachrichten einen regierungsfreundlichen Dreh gibt, Blair will ihn zum Parteistrategen machen. An seiner Funktion als heimlicher Premierminister wird das nichts ändern: Blair kann auf Campbell nicht verzichten.

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