: Verwilderung des Kapitalismus
Roswitha Scholz lehnt alle Programme für Frauen im Beruf ab. Stattdessen reanimiert sie in ihrem Buch einen längst vergessenen Marxismus
Ja, selbstverständlich kann man auch Margarete Schreinemakers marxistisch auseinander nehmen. Verkündete sie nicht einst in ihrer Talkshow: Dass sie auch für ihr Kind zu sorgen habe, sporne sie an, konzentrierter im Beruf zu arbeiten; Männer trödelten stattdessen in Arbeitsbesprechungen oft herum.
Dieses Modell Superweib präsentiert uns Roswitha Scholz in „Das Geschlecht des Kapitalismus“ als ideologische Ikone des postmodernen Kapitalismus. Die postmoderne Frau: scheinbar frei, in Wahrheit doppelt vergesellschaftet. Denn ihr wurde zu der Frauenrolle noch die der Männer aufgeladen. Um beides auszufüllen, wird sie ein Muster an Effizienz. Gleichzeitig bleibt die Hierarchie der Geschlechter bestehen, da durch die Doppelrolle die Frau niemals mithalten kann mit einem, der keinen Zweitjob als Mutter hat. Für Roswitha Scholz endet diese Art von Emanzipation in der endgültigen Verstrickung in ein fatales System.
In ihrem neuen Band versucht Scholz eine Reformulierung des feministischen Marxismus, während sie Weiterentwicklungen marxistisch orientierter Theoretikerinnen wie Regina Becker-Schmidt oder Elisabeth Beck-Gernsheim schlicht ablehnt. Die verwiesen auf das emanzipatorische Potenzial der „naturgebundenen Zeit“ der Familienarbeit und klagten den Wert dieses weiblichen Arbeitens ein. Die Frauenpolitik folgt ihnen: Sie versucht, die Reproduktion gleichmäßiger auf beide Geschlechter zu verteilen, sodass Frauen sowohl an der kapitalistischen Wertproduktion teilhaben als auch Männer die emanzipatorische Kraft der Haus- und Familienarbeit erfahren. All diese Vorstellungen haben einen reformorientierten Kern: Sie messen der Arbeit mit Küche und Kindern durchaus einen gesellschaftlichen Wert zu, der eingeklagt werden muss – etwa über den Staat.
Ganz anders Roswitha Scholz. Sie wartet mit einer quasi steinzeitmarxistischen These auf: Die Aufspaltung des menschlichen Daseins in Wertproduktion und Reproduktion, die als wertlos gilt, beginnt mit dem Sündenfall der Warenproduktion und ist auch nicht mehr aufzuheben. Wer Waren produziert, müsse Haus- und Familienarbeit abspalten, sonst entstehe zu wenig Wert, weil zu wenig reine Arbeitskraft zur Verfügung steht. Nicht erst die Verteilung des Mehrwerts der Arbeit, wie der klassische Marxismus meine, sei also das Problem, sondern schon die Produktion von Warenwerten an sich. Scholz gibt durchaus zu, dass es schwierig sei, sich eine nicht Waren produzierende Gesellschaft vorzustellen. Das hindert sie aber keinesfalls daran, mittels dieser „fundamentalen Wertkritik“ alle anderen feministischen und frauenpolitischen Ansätze in Grund und Boden zu kritisieren. All die wohlmeinenden Forderungen nach Erwerbsarbeit für Frauen, all die Programme „Frau und Beruf“, so argumentiert Scholz, führen dazu, dass nun auch noch Wert aus den bislang Wertlosen, den Frauen, gesogen wird. Doch im Gegenzug „Männer in die Familie“ zu fordern, ist für sie eine wohlfeile Illusion. Niemals werde der Markt zulassen, dass ihm auf diese Weise wieder Wert entzogen wird, niemals auch werden die Männer von ihrer Selbstdefinition als Wert-Produzenten lassen. Die Zukunft der Frauen zeige sich bereits jetzt in so genannten Entwicklungsländern: Dort würden immer mehr Frauen in die Weltmarktproduktion integriert und versorgten nebenbei ihre Familie – wenn das überhaupt möglich ist. Tendenziell nämlich führt die Wertlosigkeit der Reproduktion dazu, dass sie schlicht nicht mehr stattfindet: Kinder landen in der Dritten Welt auf der Straße, in der Ersten Welt werden sie unter Umständen gar nicht erst geboren. „Verwilderung des Kapitalismus“ nennt Scholz dieses Stadium – nicht ohne leise Hoffnung darauf, dass das System derart auf seine Selbstabschaffung hinarbeite.
Scholz gehört zum Umfeld der Erlanger Zeitschrift Krisis, die, so definiert sie sich selbst, „den Austausch zwischen Leuten fördert, die das alte Linkssein transformieren wollen, ohne affirmativ ‚realistisch‘ zu werden“.
Diese Gefahr besteht bei Scholz überhaupt nicht, denn sie ist leider nicht einmal realistisch – das macht die Lektüre anstrengend und wenig produktiv. In einer Mischung aus ehernem Marx-Seminar-Jargon und apokalyptischen Visionen kommt sie etwa dazu, „nüchtern zu konstatieren, dass das Waren produzierende Patriarchat als Zivilisationsmodell bereits in sein katastrophisches Zerfallsstadium eingetreten ist und dass eine weitere Barbarisierung nicht durch ein Denken und durch politisch-praktische Bemühungen innerhalb seiner Strukturen verhindert werden kann“.
Déjà vu? Déjà vu. Die Ökonomie als einzige Analysekategorie der Gesellschaft. Die gesamte Theorieentwicklung, die dem Überbau, also Staat und Gesellschaft, eine relative Unabhängigkeit zugestand, ausgeblendet. Dabei hat sie schlicht übersehen, dass dieser Überbau nicht untätig ist – im Gegenteil, er ist überaus lernfähig. Denn den logischen Fehler, aus dem Scholz ihre Zusammenbruchsfantasie ableitet, macht dieser Überbau nicht. Auf der Theorieebene muss man einmal entscheiden: Ist Reproduktion wertlos oder wertvoll? Ist sie eine fundamentale Voraussetzung für die Produktion von Wert, so wird auch das System, anstatt schlicht zugrunde zu gehen, ihren Wert erkennen und ein veritables Interesse daran haben, die Reproduktion zu sichern. So erleben wir einerseits gerade, wie ein Teil der Reproduktion in den Wertkreislauf einbezogen wird: Freizeit- und Wellnessindustrie, Psychologen, Mediziner und Ratgeber aller Art tragen ebenso dazu bei wie Billigarbeiterinnen, die Hausarbeit erledigen. Andererseits bemüht sich inzwischen sogar der deutsche Staat zunehmend um angemessene Kinderbetreuung, wie sie in anderen Ländern üblich ist. Scholz ignoriert dies, wie sie die gesamte politische Sphäre ignoriert. Eine Reformulierung des marxistischen Feminismus? Nein, ein Rückfall. HEIDE OESTREICH
Roswitha Scholz: „Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die Metamorphose des Patriarchats“, 192 Seiten, Horlemann/edition krisis, Bonn 2000, 24 DM (12,27 €)
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