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Der inneren Sicherheit geopfert

SPD-Innensenator Hartmuth Wrocklage wirft das Handtuch. Er beugte sich dem Druck von Bürgermeister Ortwin Runde, der nach schlechten Umfrageergebnissen den Verlust der rot-grünen Mehrheit fürchtete. Nachfolger wird SPD-Chef Olaf Scholz

aus Hamburg PETER AHRENS und SVEN-MICHAEL VEIT

Knapp vier Monate vor der Neuwahl der Hamburger Bürgerschaft befindet sich der rot-grüne Senat im Steilflug nach unten. Gestern trat Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) zurück. Der 61-Jährige beugte sich damit dem Druck von Bürgermeister Ortwin Runde und SPD-Parteichef Olaf Scholz. Scholz selbst will nun als Wrocklages Nachfolger das Thema Innere Sicherheit im Wahlkampf beackern. Am Abend sollte der 43-jährige Arbeits- und Sozialexperte, Mitglied im Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion und dort von Kanzler Gerhard Schröder als „kommender Mann“ mit Wohlgefallen betrachtet, als neuer Innensenator vorgestellt werden.

Vorab wollte Scholz sich nicht äußern, warum er seine bundespolitische Perspektive gegen den heißen Stuhl in der Innenbehörde tauscht. Wrocklage stand seit zwei Wochen unter Beschuss der Springer-Presse. Die Welt, das Hamburger Abendblatt und die Bild-Zeitung schrieben die innere Sicherheit zum Wahlkampfthema Nummer eins hoch – und Runde fürchtete, dass er mit einem angezählten Innensenator im Wahlkampf nur verlieren könne. Beinahe täglich warteten die Springer-Zeitungen mit gezielten Indiskretionen aus dem Hamburger Polizeiapparat auf – Geschichten über Versetzungen und ausgebliebene Beförderungen, die das Bild einer SPD-Parteibuchwirtschaft in der Innenbehörde zeichneten. Garniert mit dem Dauer-Vorwurf, Polizei und Justiz agierten zu lasch. Ein publizistisches Trommelfeuer, das Wirkung zeigt. Die Umfrageergebnisse für Rot-Grün, die zur Jahreswende eine ungefährdete Mehrheit für den Senat anzeigten, sind mittlerweile im Keller.

CDU-Herausforderer Ole von Beust wittert seine Chance, Bürgermeister zu werden – wenn es sein muss gemeinsam mit dem als Richter Gnadenlos bekannten Law-and-order-Mann Ronald Barnabas Schill. Als dritter Partner käme die FDP in Frage, die nach acht Jahren außerparlamentarischen Schattendaseins wieder ins Landesparlament einziehen dürfte. Als in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass ein Sexualstraftäter während eines Freigangs aus einer Hamburger Psychiatrie zwei Frauen vergewaltigt hat, wurde auch das Senat und Bürgermeister zur Last gelegt. Runde zog daraufhin die Reißleine: Am Wochenende wurde der Ärztliche Direktor der Klinik entlassen, gestern folgte der Innensenator. Das Thema Innere Sicherheit hatte seinem Vorgänger Hennig Voscherau bei der letzten Wahl 1997 das mit 36,2 Prozent schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten in Hamburg eingebrockt. Noch am Wahlabend war Voscherau zurückgetreten.

Wrocklage sprach in einer kurzen Erklärung von einem „Meinungsklima in der Stadt, das durch falsche Informationen und verzerrte Darstellung entstanden“ sei. Von einem „Feindbild, das sich nicht nur an meiner Funktion als Innensenator, sondern auch an mir als Privatperson festmacht“. Nachfragen der Presse ließ er nicht zu. Wrocklages Karriere ist am Ende. Der rot-grüne Senat könnte ihm am 23. September, dem Wahltag, folgen.

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