supermärkte, snickers etc.: Über die Anziehungskraft eines Extra-Markts
Prima sparen und kontakten
Der Extra-Markt nebenan ist mein Zuhause. Mehrmals täglich gehe ich dort einkaufen. Meine sozialen Kontakte haben ihren Ursprung am Gemüsestand, an den Kühlregalen oder an der Kasse. Einmal habe ich dort sogar Dirk von Lowtzow, den Sänger von Tocotronic, getroffen und in ein Gespräch verwickelt, ein Ablenkungsmanöver, um den Inhalt seiner Tüte zu studieren: zwei Becher Pro-Cult von Müller, Schrippen, Schusterjungen und die Berliner Zeitung. Kein Bier, kein Wein.
Wenn ich mich allein fühle, gehe ich raus auf die Straße und suche in Mülleimern und Hinterhöfen nach Pfandflaschen, um diese dann an der Pfandannahme im Extra-Markt abzugeben. Das tue ich nicht aus Geldmangel, sondern um mich mit Tina zu unterhalten. „Sieben Flaschen.“ „Eine Mark fünf.“ „Danke.“ Mehr traue ich mich nicht, obwohl ich versuche, durch immer größere Pfandmengen Eindruck zu schinden.
Heute war ich dreimal kurz hintereinander einkaufen, aus Langeweile und um Tina zu sehen, die bei meinem letzten Gang gerade Kartons aufriss und ein Regal mit Snickers einräumte. Und obwohl ich überhaupt keine Snickers mag, sondern Lions, griff ich gleich mehrere Familienpackungen heraus. Tina schaute mich einen Moment an, aber ich konnte dem Blick nicht standhalten, wurde rot und schob schnell den Wagen weiter. Aus Verzweiflung kaufte ich noch unsinniges Zeug, Chips, Tiefkühlpizza und jede Menge Pro-Cult von Müller.
Mir war klar, dass ich all die Produkte niemals verbrauchen würde. Als ich hörte, wie Tina zur Kasse gerufen wurde, eilte ich hinterher. Vor allen Kassen hatten sich schon lange Schlangen gebildet, mit Spannung erwartete man die neue Kassiererin. Sofort fanden Verschiebungen statt. Und ich kam wie immer zu spät. Das ärgerte mich, besonders, weil keine Möglichkeit bestand, sich vorzudrängeln. Um mich zu beruhigen, steckte ich an der Kasse weitere Snickers ein und legte den Rest auf das Förderband.
Sorgsam reihte ich sämtliche Produkte hintereinander auf, so dass nicht alles auf einmal draufpasste und Tina das Band immer weiter laufen lassen musste. Zum Schluss platzierte ich noch in größeren Abständen die Snickers auf dem Band, und immer, wenn Tina die Summe ansagte, legte ich noch einen Schokoriegel nach. Das konnte natürlich nicht ewig so gehen, zumal hinter mir schon Morddrohungen losgelassen wurden. Als dann der Endbetrag aufleuchtete, sprang ich auf und jubelte: „Ja, sechzig Mark! Genau sechzig Mark, nicht neunundfünfzig Mark sieben oder zweiundsechzig Mark vierunddreißig, nein, sechzig Mark. Kein Kleingeld, kein langes Rumsuchen im Portemonnaie. Sechzig Mark, Leute, das schafft ihr nie.“
Zurufe oder sonstige Beifallsbekundungen blieben aus, aber als Tina mir den Kassenzettel zuschob, sagte sie: „Auf Wiedersehen.“ Es klang verbindlich, wie eine Verabredung. Ich glaube, sie meint es ernst.
JAN BRANDT
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