: Das Manifest des Szene-Samurai
Revolution No. 08/15: Haltloser Ich-Erzähler, gerade von seiner Freundin verlassen, sucht nach Struktur im Leben und dem großen Zampano. In Marc Fischers Debütroman „Eine Art Idol“ will die Popjugend sich partout einem System unterwerfen
von GERRIT BARTELS
Die Inszenierung von Marc Fischers Debütroman „Eine Art Idol“ ist stimmig bis ins Detail. Das goldene Hochglanzcover sieht blendend aus und fühlt sich gut an; der amerikanische Schriftsteller Douglas Coupland, den Fischer vor Jahren einmal für die Zeitschrift Tempo interviewte, hat ein Werbesprüchlein für den Buchrücken beigesteuert und Fischers Kollege und Freund Uwe Köpf ebenfalls: „Sein Buch ist ein Licht im Nebel, der das Leben ist – wäre ich eine Frau, würde ich mir für Marc Fischer die Brüste vergößern lassen.“ (Vorsicht, Pornografie! Vorsicht, Popliteratur!)
Auch das Bild auf dem Cover passt: Da sieht man ein Flugzeug und einen Menschen, beide im freien Fall nach unten – eine Illustration, die leidlich Titel und Inhalt des Buches wiedergibt; eine Illustration, die aber ein viel gelungeneres Symbol dafür ist, dass die Art von Literatur, die Marc Fischer schreibt, zuletzt bei vielen Verlagen und noch mehr bei der Kritik etwas in Verruf geraten ist. Da werden Bücher von Debütanten oder Jungschriftstellerinnen nur mehr mit den spitzesten Fingern angefasst, werden beargwöhnt, missmutig beneidet oder bemitleidet (und da wird sogar, wie man hört, bei manchen Verlagen das Wörtchen „Pop“ auf den Werbe-Index gesetzt).
Wäre jedenfalls die Veröffentlichung von Fischers Buch in die Zeit von Leberts „Crazy“ und Stuckrad-Barres „Soloalbum“ gefallen, es wäre besprochen und gefeiert worden, ehe es überhaupt jemand hätte lesen können – so aber steht es trotz gelungener Inszenierung seit einem Monat in den Buchhandlungen, ohne dass viel Aufhebens drum gemacht würde. Was insofern schade ist – genau, „Eine Art Idol“ hat auch einen Inhalt –, als dass Marc Fischer ein klassisches Stück Genreliteratur abgeliefert hat, einen Klassiker der Popliteratur sozusagen; eine konventionell, aber schnell erzählte Geschichte, die mit viel dunklem Irrwitz ausgestattet ist.
Held des Romans ist der namenlose Ich-Erzähler: Mitte zwanzig, arbeitsloser Journalist, gerade von seiner Freundin verlassen. Kein außergewöhnlicher Typ also, einer, der seinen Lebensrhythmus bewusst verkehrt, ein Nachtlebenmensch. Der jedoch eine zwar illusionäre, aber sehr genaue Vorstellung von seiner Zukunft hat: Er würde gern ein Samurai sein, „denn kaum eine Existenz hat so viel Sinn wie die eines Samurai: Seine Aufgabe ist klar definiert, es gibt keine Verwirrung in seinem Leben – er ist der Beschützer seines Fürsten, seines Daimyo, der ihm Vater und Lehrer ist.“ Da ist sie also, die ziellose Popjugend, die sich nach Struktur sehnt, ja nach einem Zampano, der Ordnung ins Chaos des Lebens bringt und vielleicht sogar die Puppen zum Tanzen. Fischers Held jedenfalls begegnet seinem Zampano im Hamburger Nachtleben. Sein Name: Max Höller, Chef einer Untergrundorganisation, zu deren Mitgliedern Leute wie Jonny Rotten, Peter Pan und Konrad Kujau gehören. Ihr Ziel: irgendwann im Berliner Reichstag die Revolution auszurufen. Höller finanziert seine Organisation durch ein Kokskasino, mit Raubüberfällen auf Banken oder Modeläden und mit anderen obskuren Geschäften, und seine Leute rekrutiert er im Nachtleben. Junge Leute vor allem, die Spaß suchen, die „in Bewegung“ sein wollen, die aber vor allem darauf warten, „sich einem System zu unterwerfen“.
Marc Fischer scheut keine Mühe, um Höller, seine Organisation und deren Aktivitäten detailliert zu beschreiben und sie wie eine Mischung aus Sekte, RAF, Robin Hood und Bret Easton Ellis’ terroristischer Model-Clique aus „Glamorama“ rüberkommen zu lassen. Sein Ich-Erzähler ist schließlich derjenige, der der Höller-Organisation ein Manifest schreibt. Punkt zehn, die „Höllersche Vision“, lautet: „Am Ende der Entwicklung der Höllerrevolution, des Höllerstaats und des Höllermenschen steht ein Staat des ehrenwerten Bürgers, dessen Gesellschaft, in Verbeugung vor den leider gescheiterten Idealen des Höllervorgängers Karl Marx, eine klassenlose, aber nicht unterschiedslose ist.“
The big heavy, the big Schwachsinn: Marc Fischers Roman kann man als großen Spaß lesen, als lustige Raserei, bei der es wenigstens am Ende noch einen Hoffnungschimmer gibt. Der Held scheitert, als er sich und die Siegessäule in die Luft sprengen will, er fällt einfach um: „Im Hagakure stand kein einziger Satz dazu, was ein Samurai zu tun hatte, der es nicht fertigbrachte, sich zu töten.“ Man kann das Buch aber auch als Fortsetzung von „Tristesse Royale“ lesen, als Fortschreibung des legendären Satzes: „Wäre es jetzt der Herbst des Jahres 1914 und nicht der Frühling des Jahres 1999, wären wir die ersten, die sich freiwillig meldeten.“ Oder man liest es als kulturpessimistisches Planspiel mit Bezug zur Realität. Denn Vorsicht, Leute, die Höllers sind unter uns, sitzen bei RTL 2, im Adlon, bei Max oder Universal und planen alle ihre Revolution! Pop ist tot und es wird ernst! Was dann aber kommt, wissen nur Marc Fischer und Thomas Assheuer. Und vielleicht Harald Schmidt, der sagen würde: „Jugend dieser Welt – kauf dieses Buch und lies es!“ Und, sagen wir, ziehe deine Lehren daraus, bevor es zu spät ist!
Marc Fischer: „Eine Art Idol“. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2001, 316 Seiten, 22,90 DM
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