: Ein Einzelgänger mit herzlichem Wesen
Der russische Menschenrechtsaktivist Wiktor Popkow erlag den bei einem Attentat im April erlittenen Verletzungen
BERLIN taz ■ Seit beim Zusammenbruch der Sowjetunion die ersten blutigen Konflikte zwischen verschiedenen nationalen Gruppen ausbrachen, vermittelte Wiktor Popkow immer wieder zwischen den zerstrittenen Parteien. Sein letzter Einsatz in Tschetschenien hat ihn das Leben gekostet. Am Abend des 2. Juni ist er in einem Militärkrankenhaus bei Moskau den schweren Kopfverletzungen erlegen, die er am 18. April bei einem Attentat auf seinen Wagen unweit des tschetschenischen Dorfes Alchan-Kala erlitt. Dort hatte er Medikamente und andere Hilfsgüter abliefern wollen.
Während des Friedens 1999 hatte der Menschenrechtsaktivist die Freilassung vieler der vorwiegend russischen Geiseln in tschetschenischer Gefangenschaft bewirkt. Die Geiselnahmen dienten später den russischen Offiziellen als Vorwand für den zweiten Tschetschenien-Krieg. Sofort nach dessen Ausbruch trat Popkow aus Protest gegen die russische Kriegspolitik in einen 41-tägigen Hungerstreik.
Regelmäßige Besuche auf beiden Seiten einer Front waren für den in einem kleinen Ort in Aserbaidschan geborenen Pazifisten schon Anfang der 90er-Jahre im armenisch-aserbaidschanischen Krieg um die Enklave Nagorni Karabach zur Gewohnheit geworden. Damals besuchte er Angehörige von Vermissten und setzte sich für die Freilassung von Gefangenen ein. Dabei wurde er einmal für kurze Zeit im Gefängnis von Fisuli (Aserbaidschan) inhaftiert.
Hier bewährte sich Popkows herzliche Wesensart, die ihm immer wieder die Türen öffnete: er schaffte es, sich sogar mit den Gefängniswärtern anzufreunden. Einer von ihnen überreichte ihm bei seiner Entlassung als Andenken einen Kamm für seine langen Haare und den Bart.
Der Pazifist mit dem Äußeren eines orthodoxen Popen erweckte bei Gesprächspartnern aus den verschiedensten Lagern Vertrauen und Respekt. Zu seinen regelmäßigen Gesprächspartnern gehörten die Präsidenten von Inguschetien und Tschetschenien, Ruslan Auschew und Aslan Maschadow, ebenso wie russische Offiziere. Deshalb fand er auch immer wieder Möglichkeiten, in die umkämpfte tschetschenische Hauptstadt zu gelangen. Von dort brachte er oft Informationen mit, die die offizielle russische Propaganda Lügen straften. Zuletzt arbeitete Popkow für die Flüchtlingshilfe „Zivile Unterstützung“. Aber in der kleinen russischen Friedensbewegung blieb er ein Einzelgänger. Den einen war er zu waghalsig, andere störte es, dass er immer wieder von Gott und Allah redete. Doch seine Kritiker schätzten ihn und waren jedes Mal erleichtert, wenn er unversehrt aus den Kriegen heimkehrte. Wiktor Popkow hinterlässt eine kranke Frau und zwei kranke Töchter. BERNHARD CLAASEN
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