: Arafat hat kaum mehr Spielraum
Der palästinensische Terroranschlag auf eine Disko in Tel Aviv bringt Scharons Politik einer gewissen Mäßigung internationale Unterstützung ein
von GEORG BALTISSEN
Ariel Scharons Taktik hat sich ausgezahlt. Der israelische Premier hat den Forderungen der militanten Siedler und seiner rechtsnationalistischen Klientel widerstanden. Kein schneller und zerstörerischer Gegenschlag gegen die palästinensische Autonomiebehörde. Keine wilden Bombardements mit amerikanischen F-16-Kampfflugzeugen, wie nach dem Selbstmordanschlag in Netanja im vergangenen Monat. Stattdessen ein umsichtiger und sehr geschickter Aufbau internationalen Drucks auf Palästinenserchef Jassir Arafat.
US-Außenminister Colin Powell und vor allem sein deutscher Kollege Joschka Fischer waren die Überbringer der unmissverständlichen Botschaft Scharons: Entweder bringt Jassir Arafat die Gewalt in den Autonomiegebieten und den Terrorexport der islamistischen Gruppierungen sofort unter Kontrolle, oder er muss mit einem israelischen Militärschlag rechnen, der seine Autonomiebehördezu Fall bringt. Arafat hatte keine Wahl. Ein israelischer Militärschlag wäre in der ganzen Welt geduldet, wenn nicht sogar mit Verständnis aufgenommen worden. Und so hat Arafat den Waffenstillstand befohlen. Er wurde nicht generell befolgt. Dennoch gab es deutlich weniger Schusswechsel in den besetzten Gebieten. Ob Arafat aber wirklich die volle Kontrolle über alle militärischen Gruppierungen der Palästinenser hat, steht durchaus in Frage.
Es war der von Ariel Scharon vor 14 Tagen einseitig deklarierte Waffenstillstand, der Arafat endgültig in die Defensive gebracht hat. Nach Monaten brutaler und überzogener israelischer Reaktionen auf die Intifada hat Scharon die Schläge so weit zurückgenommen, dass die Fortdauer der palästinensischen Angriffe auf israelische Ziele die Palästinenser und vor allem Arafat ins politische Abseits gestellt hat.
Die Furcht vor einer kriegerischen Eskalation im gesamten Nahen Osten hat die USA und die Europäer nach dem jüngsten Terroranschlag zum Handeln gezwungen; aus eigenen strategischen und wirtschaftlichen Interessen in der Ölregion, aber auch aus wachsender Angst vor einer Destabilisierung der arabischen Regime, die bei einer Eskalation unweigerlich in einen militärischen Konflikt mit Israel hineingezogen worden wären. Scharons politischer Sieg besteht heute darin, dass seine Forderung nach einem Ende der Gewalt und der Terrorangriffe – vor der Aufnahme von neuerlichen Verhandlungen – international akzeptiert ist.
Arafat hat keinen Trumpf mehr in der Hand. In den ersten Monaten der Intifada konnte er aufgrund der massiven israelischen Vergeltung international punkten und im eigenen Lager erneute Zustimmung ernten. Der Weg der Intifada aber droht jetzt für Arafat zur politischen Belastung zu werden und zur innenpolitischen Auseinandersetzung zu führen. Denn angesichts ihrer miserablen Lage unterstützen inzwischen 76 Prozent der Palästinenser nicht nur die Angriffe auf Soldaten und Siedler, sondern auch die Selbstmordanschläge von Hamas und dem Islamischen Dschihad in Israel. Selbst seine eigene Fatah-Organisation unterschrieb nach dem Anschlag von Tel Aviv zunächst eine Erklärung von 12 anderen palästinensischen Organisationen, die Intifada in der bisherigen Form gegen Israel fortzusetzen. Die Struktur seines Autonomieapparats ist noch nicht zerschlagen, aber wegen des Untertauchens von hochrangigen Mitgliedern und der vorhergegangenen Zerstörung zentraler Einrichtungen nur begrenzt funktionsfähig. Vor allem aber hat Arafat den Palästinensern in Aussicht gestellt, dass die Intifada zum Erfolg, also zum Abzug der israelischen Armee und zum Abbau der israelischen Siedlungen führen werde. Das ist jetzt in weite Ferne gerückt.
Arafat wird nun wie schon zur Regierungszeit von Benjamin Netanjahu gezwungen sein, massiv gegen Hamas und den Islamischen Dschihad vorzugehen. Er wird all jene wieder an die Kandare nehmen müssen, die er zuvor mit mehr oder weniger plausiblen Gründen von der Kette gelassen hatte. Und er wird auf der internationalen Bühne erst dann wieder eine Rolle spielen, wenn er die Forderung nach einem „bedingungslosen Waffenstillstand“ realisiert hat.
Nach acht Jahren der Krisen, der Zwischenabkommen, der Terroranschläge und der Fortdauer der Gewalt seit Beginn des Osloer Friedensprozesses im Jahre 1993 stehen Israel und Palästina in nächster Zeit beständig in der Gefahr einer umfassenden Konfrontation. Ein einziger weiterer Anschlag wie der in Tel Aviv, und alle Vermittlungsbemühungen werden vergeblich sein. Die Palästinenser werden es einmal mehr als ein Unrecht der Geschichte ansehen, dass jetzt allein ihre Gewaltausbrüche am Pranger stehen, nicht aber die strukturelle Gewalt der israelischen Besatzung. Aber es ist nicht nur die palästinensische Taktik, die jetzt auf dem Prüfstand steht.
Ein Waffenstillstand ist kein Ziel an sich. Ohne Wiederaufnahme des politischen Dialogs, der weitreichende Zugeständnisse der israelischen Führung verlangt, kann ein Waffenstillstand dauerhaft keinen Bestand haben. Dann aber dürfte die Stunde der Wahrheit für die nationalistische Regierung eines Ariel Scharon schlagen. Und auf diese Stunde wird es ankommen.
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