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Absolut Metropole sein

Siegen hat nun mit dem Museum für Gegenwartskunst ein von den Architekten Kleyhus & Kleyhus umgebautes Prunkstück für die moderne Kunst. Oder ist es eine Black Box im Medienzeitalter?

Das Museumsgebäude in Siegen zelebriert den ernsten Jux in seiner sauberen Leere

von MARLIS GRÜTERICH

Im Siegerland ist die Welt wiedererkennbar. In jeder Kurve der Sieg ist Frühling in Wiese und Waldhang, Wohnhäuser und Fabriken fügen sich ein. In Siegen sagt mir der Taxifahrer, was für Kästen ich sehe: City Hall, alles unter einem Dach, Rathaus, gereinigt. In der Oberstadt ziehen Bronzekühe zur Tränke wie die Leute zum Einkaufen. Ein neobarocker Turm, frisch geweißt und in Ochsblutrot gefasst: Das Museum für Gegenwartskunst Siegen ist ein ehemaliges Telegrafenamt. Vor 1900 passte es sich an das Untere Schloss an. Der Mumseumseingang öffnet seine Glastür im Kubusanbau von J. P. Kleyhus & Kleyhus, bekannt für musealen Umbau historischer Nutzbauten in Kulturhüllen – in ihrem Berliner Hamburger Bahnhof reihen sich in weißen Hallen die Pop-Art-Briefmarken der Nationalgalerie.

In der Siegener Museumsstirn mutiert ein großer Videoschirm den internationalen weißen Ausstellungskubus für Kunst in die Black Box der virtuellen Bildmedien. Nicht der Baukörper spricht für sich, sondern sein laufendes Logo für ihn. Der Dialog zwischen alten und neuen Bildsprachen ist Museumsprogramm: Museumsbau, Umbau und Präsentationskonzept nehmen der Kunst die Orte, die sie auch virtuell braucht. Die Kunst kann hier den Ausstellungsort nicht als ästhetischen Einstieg ins Große und Ganze feiern, wie sie es dreißig Jahre getan hat. Mediale Ortlosigkeit steht im Dialog mit einer Malerei auf gesellschaftlich isolierter Leinwand, mit Fotos in Wechselrahmen. Fast alle Fenster des Gebäudes sind mit weißer Gaze dichtgemacht.

Auf dem ersten Stock wusste ich bald nicht mehr, wo im Gebäude ich war. Ob K&K meinen, dass das von ihnen entworfene, internationale Klischee vom weißen Kubus in der 110.000-Einwohner-Stadt im Grün zwischen Köln, Bonn und Frankfurt die fremde Kunst zum Sprechen bringt? Der anheimelnde Holzboden mag das Selbstwertgefühl der Besucher ansprechen, die ausgestellte Kunst aber entstand auf Fabrikböden der Industrieepoche.

Es sind diese Industriespuren, die das Flair der nur gesäuberten Kunstfabriken in Europa und den USA ausmachen. Ein von Gordon Matta-Clark aus einem kleinen altmodisch klassizistischen New Yorker Abrisshaus ausgesägtes rotes Fassadenteil verliert auf dem Siegener Parkett seine Herkunft. Ist das die Hoffnung auf einen Ankauf wert?

Frau Lambrecht-Schadeberg, Brauereibesitzerin, stiftete 1957 den Rubens-Preis für die Stadt, um zentrale Künstlerpersönlichkeiten auszuzeichnen und um zu Hause in der großen kleinen Kunstwelt zu leben. Der Name des in Siegen geborenen Antwerpener Malerfürsten brachte den USA-Römer und Intimisten Cy Twombly nach Siegen. Preisgekrönte Kunst ist ständig im Neubau zu sehen.

Twomblys zeichnend und schreibend ihre Atmosphäre beobachtende, fabulierende Malerei riskiert seit den 60er- und 70er-Jahren Sein oder nicht Sein – wie in Deutschland Emil Schumachers still dramatisch in Farben glühende und schwarz einschneidende Malgesten seit dem Krieg. Beide im Saal zu sehen, in den die Fensterwand das Tageslicht am Schlossplatz gefiltert streut, ist eine Wohltat. Das weite Herz der Sammlerin vereinbart Geigers fluoreszierende Geometrien wiederum mit Lucian Freuds Fotografen- und Malerfreude an Rubensfrauen. Morandis Stilllebenarchitektur sowie Bacons sich entblößende Selbstdarstellung ziehen sich in Stellwandkabinette ohne räumliches Licht zurück, in dem man ihr Innenleben erkennen könnte.

Gründungsdirektor Klaus Bussmann vom Landesmuseum Münster hat auf der persönlichen Kunstliebe der Sammlerin ein Ausstellungshaus aufgebaut, Leihgaben lebender und toter Gegenwartskünstler eingewoben. Den zukunftsgewissen Kunstmediendialog unterhalten die Stadt und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Ein Museum für Gegenwartskunst hat das Land noch nicht. Deshalb heißt das, was von der Kuratorin Barbara Engelbach demnächst dynamisiert werden soll, eben so. Die Universität Siegen kooperiert. Professor Ritter nutzt das Museum für den Medienschwerpunkt im Studium der Kunstwissenschaft als Praxis der Produktions- und Rezeptionsästhetik. Ohne gute Konditionen für Sinne und Emotionen fehlt dem Begreifen aber der Resonanzkörper, in dem intuitiv richtige Gedanken anklingen können.

Die Fotoabteilung leiten Otto Sanders Porträts von Menschen vor dem Krieg ein. Ihre Gesichter, Haltung und Kleidung orten sie gesellschaftlich. Auf Glückwunschkarten begleiten Sinnsprüche die Menschen. Gern würde ich sie im Buch anschauen und lesen, anstatt Rahmen und Vitrinen zu absolvieren. Danach zwei große Räume für Hilla und Bernd Becher: Die beiden aus dem Siegerland zeigen Siegerländer Fachwerkhäuser, ihre schwarzweißen, typisierenden Fotoserien. Bestanden sie auf der Schließung der Fenster, um die Verwechslung ihres frontalen Architekturfoto-Minimalismus mit den Originalen auf dem Lande zu verhüten? Kontrollierte Luxwerte konservieren die Reproduktionskunst – das wechselnde Tageslicht gibt lebendige Einblicke in lebendige Bilder.

Geschlossene Museumsatmosphäre wollte Thomas Struth für seine Dschungelparadiese. Der Städter fotografiert den Wind im Baumgrün der Tropen. Weil er keinen täglichen Baum hat, will er seine Illusion durch keine Stadt stören lassen?

Gut wirken dagegen der historistische Fensterschwung und der gefilterte Blick auf die Stadt für eine Plastik des Ideekunstpioniers Sol Lewitt. Seine Modulstruktur konjugiert die Grammatik des weißen, geschlossenen und offenen Kubus auf weiß quadriertem grauem Grundplan: als Liebe zur absoluten Stadt. Auf den Wänden fast unsichtbare Konzeptkunst. Carl Andres’ Satz-Diagramme zur Kopfzeile „MUYBRIDGE“ sind auf der Heftseite zu entschlüsseln, funktionieren aber eben nicht wie seine Quadratteppiche aus Ziegelsteinen oder Metallplatten, die den weißen Kubus orten. Zitate aus dem Kunsthistorikerregister – ob Phasenfotografie, Futurismus oder Serialität – überziehen Andres’ Quadratsinnspiel für Muybridge.

Das Museum zitiert Kunsthorizonte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die die Autonomie der modernen visuellen Kunstsprachen so anwenden, sodass kein Bilderrahmen mehr Bildrahmen ist, sondern die konditionierende und konditionierte Situation. Der formal-inhaltliche Kontext der Ausstellungskunst sind Boden und Wände, Decken und Ausblicke aus der Kunstwelt in die Welt. Das Verhältnis der Ausstellungskunst zum öffentlichen Raum entscheidet über die Tragfähigkeit der Bildsprachen für das denkende Sehen und Bilddenken der Leute, die im öffentlichen Bildraum so wie im eigenen wechselnden Blickfeld ihre Wege im Bild wählen. Das Kulturanliegen: Resonanzen der Menschennatur auf die wieder erkennbare Welt nutzen, um die ganze Welt in der offenen Situation des Augenblicks anzusprechen. Materialismus mit Poesie verkörpert so Ideen, um sie, wenn sie vor Augen stehen, von der Fantasie der anderen bewegen und erneuern zu lassen.

Der Dialog zwischen alten und neuen Bildsprachen ist Museumsprogramm

Eine visuell-musikalische Methode machten daraus die Fluxus-Wahlverwandten Beuys vom Niederrhein und Nam June Paik aus Korea. Paik, zur ersten Stunde im Kölner WDR-Studio für elektronische Musik, orchestriert Fernsehen virtuos, um daraus globale Meditationsfiguren zu gewinnen. In seinem Videogarten philosophiert mit uns Cage, der Musiker der Stille. Der Medien-Zen: Eine Videokamera nimmt den Denker von Rodin auf. Ein Monitor sendet den in die Hand gestützten Kopf. Das laufende Bild macht das unsichtbare Denken präsent wie einst die Skulptur.

Beuys lädt gebrauchtes Material und Gerät, wie etwa ein fast verbrauchtes Tischchen, mit malerisch-körperlicher Bewegtheit auf, macht es zum Aggregat und zum Fonds für die Beziehung Mensch-Zivilisation und ihre anthropozentrische Logik. Die umfassende Menschennatur stimmt die spezialisierte Zivilisation auf sich ein. Beuys’ große Werke hüten derweil andere Museen. Hier wird ihre Kenntnis vorausgesetzt. Ansonsten gilt: Siegen goes Metropolis, auch mit der Prozesskunst. Hans Haacke machte anfangs Naturkreisläufe beobachtbar, so wie den Kreislauf des Wassers, das sich in einem Plexiglaskasten erwärmt und abkühlt, dampft und tropft. Aus einem dpa-Nachrichten-Gerät quillt dazu unkontrolliert der Infopapierstreifen wie der Hirsebrei im Märchen. Das war im Kalten Krieg und ist noch kühl zutreffende Kritik an Infopolitik.

Dan Grahams Architekturmodelle seiner transparenten Pavillons für Leute, die die Welt gern als Zuschauer auf Distanz im rechten Winkel und im zweiten Augenblick für sich ausbalancieren, haben allerdings keinen Sichtkontakt mit ihrer Umgebung. Für den Künstler brauchbar, sind sie für andere isolierte Skulpturen, neomodernistisch. Im historistischen Turm, der die zwei Museumsetagen verbindet, begleitet Diana Thaters Filmprojektion die Wendeltreppe. Die Turmfenster tönen das Höhenprofil von Siegen in der elektronischen Farbskala: dressierter Pferdeauftrieb für den wilden Kino-Western. Wer tönt hier für wen?

Wenn Kippenberger mit der Kunstwelt „Lass Papa pennen“ spielt, geht es nicht um den Reiz des Verbotenen. Banale bunte Bildplastikkuchen sind mit Gartenzäunen eingezäunt, wie Leidensstationen der in ihrem Selbstauftrag isolierten Kunst. Das Siegener Museumsgebäude zelebriert den ernsten Jux in seiner sauberen Leere. Franz West gönnt uns hinter einer anschwellenden Raumteiler-Raumkurve aus Gips eine harte Liege aus Eisen und von da den Blick auf die Plakate seiner Welttournee-Arbeit.

Mischa Kuball assoziiert nach dem Zufallsprinzip Projektionen wichtiger Männer und Gebäude der Moderne. Glasscheiben vor der Wand brechen zwar die Projektionsfläche, aber sie geben einem keinen Tipp, bis dahin übersehene Inhalte auf anderen Gehirnpassagen zu erkennen. Dafür leuchtet globale Resonanz auf das Licht der Kunst aus unserem Erkennen: Alles unter Dach und Fach?

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