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Ein Flirt mit dem Ausstieg

Zahlreiche Initiativen bemühen sich um rechte Jugendliche. Die „Weiße Rose“ setzt auf persönliche Beziehungen als Ansporn zum Ausstieg. Doch wer hinter dem Projekt steckt, das mit einer umstrittenen Strategie um Unterstützung wirbt, bleibt unklar

von KATJA BIGALKE und JULIA HARBECK

Gegen rechte Gewalt zu sein ist schick. Noch schicker ist es, die Rechten bekehren und aus der Szene herausholen zu wollen. Das nennt sich dann Aussteigerprogramm. Davon gibt es inzwischen etliche: Das 100.000-Mark-Programm von Innenminister Otto Schily (SPD), die Hotline vom Verfassungsschutz und „Exit“ in Berlin sind die bekanntesten. Neben diesen Aushängeschildern gibt es aber auch unbekanntere Aktivisten, die sich bemühen, Rechtsextreme auf den rechten Pfad zurückzuführen.

Anfang Mai im Foyer des Kongresszentrums am Köllnischen Park in Berlin-Mitte: Pinnwände sind aneinander gereiht. Schülergruppen aus ganz Deutschland zeigen ihre Projekte. Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung stellt die engagiertesten Jugendinitiativen gegen rechte Gewalt vor. Alles ganz bunt, viele Fotos, Informationsbroschüren. Nur die Stellwand in der rechten Ecke ist grau, keine Broschüren, nur ein paar Zeitungsartikel. In den Artikeln geht es um eine Gruppe namens „Weiße Rose“. Und die soll laut Presseschau schon vielen Rechten aus der Szene geholfen haben. Mehr ist auch von den Kongressveranstaltern nicht zu erfahren. Als „Best practice“-Projekt hat sie jedenfalls niemand eingeladen.

Name als Türöffner

Die „Weiße Rose“ ist ein guter Name. Er steht für Widerstand. Für den mutigen Kampf der Geschwister Scholl gegen das Nazi-Regime. Und so weist auch keiner dem Plagiat mitsamt seiner Pinnwand die Tür. Im Gegenteil: Der Name ist Eintrittskarte. Auch bei Förderprogrammen.

Am zweiten Tag des Kongresses schleppt ein junger Mann sieben Mädchen in bauchfreien T-Shirts zur „Respect“ -Dependance in Berlin-Mitte. Im Büro dieses Förderprogramms für Projekte gegen rechte Gewalt, das von Berlins Jugendsenator Klaus Böger (SPD) und verschiedenen Stiftungen getragen wird, empfängt man die Jugendlichen mit Orangensaft. Der junge Mann heißt Magnus Becker und ist Bundesvorsitzender der „Weißen Rose“. Die Mädchen kommen aus Fürstenwalde, Osnabrück und Berlin. Heute will die Gruppe Geld. Drei Schülerinnen haben Becker erst am Tag zuvor auf dem Jugendkongress kennen gelernt und sich spontan entschlossen, bei der „Weißen Rose“ mitzumachen.

Steffen Zwanzig von „Respect“ hört interessiert zu. Becker liest Notizen von ein paar zerknitterten Zetteln. Sein Stil: kurz und bündig. „Zweitausend Mark für Kopierkosten, Porto, Telefonrechnungen.“ Außerdem fordert er die Verlinkung von www.weisse-rose.org mit der Homepage von „Respect“. Doch Zwanzig will zunächst eine kurze Darstellung des Projekts. Wieder kommt eine knappe Antwort: „Internet. Fotos. Gesicht zeigen. Begegnungen Berlin-Brandenburg.“ So geht das Gespräch weiter. Am Ende bittet der mögliche Geldgeber um einen Antrag auf Förderung. Prompt schiebt Becker seine bekritzelten Zettel über den Tisch. Der „Respect“-Mann lächelt, ein förmlicher Antrag müsse schon sein.

Der ist bis heute nicht eingegangen. Steffen Zwanzig wundert das nicht. Es kämen viele Gruppen, denen es an Professionalität mangele. „Das Projekt war halb gekocht. Wir hatten die Gruppe gebeten, das zu konkretisieren. Ich vermute, da hakt es bei der ‚Weißen Rose‘.“ Grundsätzlich bewertet Zwanzig das Projekt jedoch positiv. „Interessant ist, dass Jugendliche aus Brandenburg und Berlin was zusammen auf die Beine stellen wollen.“ Nach Eingang des Antrags käme eine Finanzierung durchaus in Frage.

Schon bei anderen Förderern hat die „Weiße Rose“ für Verwirrung gesorgt. Julia Plessing, Managerin bei der Amadeo-Antonio-Stiftung, fehlt bis heute ein Zwischenbericht über ein in Dortmund gefördertes Projekt gegen rechte Gewalt. Die Stiftung hatte ein Vorhaben der Weißen Rose mit der dortigen Sophie-Scholl-Schule finanziert.

An der Schule ist Magnus Becker als „eloquenter junger Mann“ bekannt, mehr erfährt man nicht. Immer wieder trifft man – auch im Internet – auf kritische Stellungnahmen zur „Weißen Rose“ – von Förderern, Jugendforschern oder Aktivisten. Wirklich skeptisch ist man beim Zentrum für demokratische Kultur (ZdK). „Man hört immer nur von Magnus Becker. Was hinter der Organisation steht, bleibt unklar“, heißt es dort.

Kein Wunder, denn hinter der „Weißen Rose“ scheint tatsächlich zunächst nur Magnus Becker zu stehen. Auf der Homepage der „Weißen Rose“ ist er der Star in Sachen „Gesicht zeigen“. Sein Konterfei schmückt etliche Fotos. Wo er kann, nimmt er Mitglieder bekannter Gutmenschengruppen in den Arm. Auch Presseberichte stellen sein Engagement gegen Rechts in den Vordergrund. Bei „Sonja“ auf Sat.1 talkte er als Studiogast. Die Tagesschau widmete der „Weißen Rose“ einen Artikel im Internet: Becker habe „diese interessante Mischung zwischen Spaß, Ernst und Aufrichtigkeit“. Mit ihren „oft pfiffigen Ideen, Tricks und guten Kontakten“ habe seine Gruppe schon „so manchen Jugendlichen aus dem braunen Dunstkreis zum Seitenwechsel animiert“. Laut eigenen Angaben sogar sehr viele. Bis zu 130 rechtsgesinnten Mitläufern will Becker schon den Weg nach draußen gewiesen haben.

Liebe deinen Rechten

Mit zum Teil erstaunlichen Methoden: „Wir setzen Jugendliche auf Gleichaltrige an. Von unseren Spitzeln wissen wir, wer aus der rechten Szene raus will.“ Diese „Spitzel“ werden auf Schulhöfen, in Jugendclubs und Diskotheken rekrutiert. Eine besonders „pfiffige Idee“: Hübsche Mädchen sollen den Glatzen den Kopf verdrehen und sie aus der Szene locken. Becker schwört auf die Flirtstrategie: „Im Endeffekt ist er (der Nazi, d.red) vielleicht böse – schließlich hat man ja sein Vertrauen erschlichen –, das nimmt er aber am Ende im Kauf, weil er ja dadurch rausgekommen ist. Eine Strategie, die immer funktioniert hat.“

Bei der 17-jährigen Olga klappte es auch ohne Flirten. Ein Jahr lang war sie mit einem Skinhead zusammen. Eine typische Mitläuferkarriere: Auf Partys war sie „nur“ Anhang, bei Demos hat sie „nur“ mitgebrüllt. Dann traf sie in einer Disco auf Isabell, eine Ausstiegshelferin der „Weißen Rose“. „Isabell hat mir von der ‚Weißen Rose‘ und von Magnus erzählt. Für den Ausstieg war Bedingung, dass ich die Leute aus der rechten Szene nicht mehr treffe.“ Das tat sie dann auch nicht mehr. Ihre Eltern hatten an einem anderen Ort ein Haus gebaut, der Umzug war ohnehin geplant. Ohne die „Weiße Rose“, glaubt Olga, wäre ihr Ausstieg unmöglich gewesen. „Kein Mensch kann allein klarkommen. Das schafft garantiert niemand. Ich war in der Szene und wusste, dass ich dort gebraucht werde“, sagt sie. Jetzt ist sie im Vorstand der „Weißen Rose“ und wird ebenfalls gebraucht – als Ausstiegshelferin.

Kritische Fragen

Beim Zentrum für demokratische Kultur hält man die Anpirschmethode dennoch für fragwürdig bis gefährlich. Auch die Zahl der angeblich „Umgepolten“ sei mehr als unrealistisch. Das hauseigene Programm „Exit“ betreut derzeit gerade mal 14 Aussteiger. Und das mit einem Programm, das in Notlagen auch Umzugshilfe bietet, mit Psychologen arbeitet und beim Kontakt mit Ämtern hilft.

Dafür hat die „Weiße Rose“ kein Geld. Sie funktioniert durch Spenden und großzügige Eltern. Deswegen kann man auch nicht an die dicken Fische der Naziszene heran – Ziel sind die Mitläufer. Neuerdings behauptet die Gruppe, man arbeite jetzt mit „Exit“ zusammen. Erste Kontakte seien geknüpft, eine Verlinkung in Aussicht gestellt, sagt Becker. Nur, bei „Exit“ weiß man davon nichts. Aber Becker geht mit seinem neuen Kontakt hausieren. So beim „Step 21“-Arbeitstreffen in Fulda, einem Kongress zum Thema Internetprojekte gegen rechtsextreme Gewalt. Das ging den „Exit“-Mitarbeitern dann doch zu weit. Aber Gegendarstellungen interessieren Becker nicht. Sein Aussteigerprogramm nennt sich „Exil“. Ein Zufall?

Becker ist ein reisender und surfender Aktivist in Sachen Öffentlichkeit. Seine Mittel: Web-Links, Logos und bekannte Persönlichkeiten. Auf diese Weise hat er die angeblich 2.500 Mitglieder um sich geschart. Für eine alternative Jugendorganisation ist das sehr viel. Erstaunlich, dass sie dennoch vergleichbaren Gruppen wie der Antifa oder den Jungdemokraten unbekannt sind. Auch beim AStA der Uni Dortmund, der Stadt, in der die „Weiße Rose“ besonders aktiv ist, kennt man die Gruppe nur „von Veranstaltungen, wo es was zu holen gibt“. Die „Weiße Rose“ alias Magnus Becker natürlich. Sie ist zentralistisch organisiert. An die Landesverbände kommt man nur über das Handy von Becker. „Wir würden auch den Überblick verlieren, wenn wir von 16 Landesverbänden die Nummern rausgeben“, sagt er.

Von Landesverband kann in Berlin keine Rede sein. Die Angaben über die Anzahl der Aktivisten schwanken. Mal sind es zwanzig, mal hundert. Die Mitglieder kennen sich kaum. Es gibt keine regelmäßigen Treffen und kein Büro.

Aber Inger aus Neukölln ist zuversichtlich: „Magnus will uns jetzt die Liste mit den Adressen schicken.“ Ohne Magnus läuft eben nichts. Immerhin: Inger und ihre Mitaktivistin Esther kennen zumindest die Gruppe in Neukölln, haben sie doch einen Teil ihres Freundeskreises für das Engagement begeistern können. Zwei weitere Jugendliche sind über das Internet hinzugekommen. Magnus Becker ist ein Virtuose in Sachen Engagement und PR, seine Gruppe jedoch scheint eher virtuell.

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