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Tanz auf den Wellenbergen

Mit dem Erlebnissegler „Stahlratte“ über den Atlantik: Während die Wellenkämme nachts weiß schimmern, dröhnt die Dünung unter Deck so laut wie Hammerschläge. Auszüge aus dem Logbuch

von RALF KÜPPER

22. Tag

Flaute. Wir kommen nur sehr langsam voran. Das ständige Schaukeln verdirbt allen den Appetit. Die einzige Abwechslung bietet eine einsame Möwe, die uns seit Tagen begleitet. Wir denken daran, unseren alten Völundmotor, Baujahr 1954, anzuwerfen. Zylinder so groß wie Eimer sorgen für einen imposanten Klang. Der Seewetterbericht meldet eine Schlechtwetterfront, die direkt auf uns zukommt. Im Laufe des Tages bekommen wir den erwarteten Wind. Jede Minute knallt eine Welle gegen die Bordwand. Es hört und fühlt sich besonders unter Deck an wie Hammerschläge. Da heißt es, zwischen zwei Schlägen schnell einschlafen. Aber die „Stahlratte“ ist ein sicheres Schiff. Handgenietet. Tausende von Stahlnieten halten die schweren, mehrere Zentimeter starken Eisenplatten zusammen. Da braucht es schon richtig Wind, um den alten Kahn auf Touren zu bringen. Ab sieben Beaufort macht es richtig Spaß, mit Vollzeug zu segeln. Wenn die „Ratte“ dann die Wellenberge hinunterbraust, erzittert das Schiff in seinem Innersten.

23. Tag

Die Stewards geben ihr Bestes. Ungeachtet grober See und viel Regen. Es gibt Tee, Kaffee und ein buntes Frühstück. Trotz des schlechten Wetters ist die Laune gut. Für die Stewards bricht ein harter Tag an. Kochen, Putzen und was noch so anfällt, um den anderen das Leben schön zu machen. Die anderen spielen Karten, schlafen ihren Rausch aus oder beobachten fasziniert das Wettergeschehen. Riesige Wolkenberge türmen sich auf und stehen drohend am Himmel. Leuchtend schneeweiß, der untere Rand dunkel bis zum Wasser. Und darüber der azurblaue Himmel. Ringsherum dicke, schwarze Wolken. Blitze zucken. Ein Anblick, der in uns das Gefühl aufkommen lässt, das Ende der Welt sei bald erreicht. Aber auch voller Schönheit, man spürt, wie die Naturgewalten wirken.

24. Tag

Die See hat sich in den letzten Tagen wieder beruhigt. Der Wind hat nachgelassen. Richtig angenehm. Viel zu tun gibt es nicht, außer draußen in der Sonne zu relaxen und in die Weite zu schauen. Die Segel stehen stramm. Hin und wieder aber lässt sich der Skipper etwas für die müde Mannschaft einfallen. Dann werden starke Hände benötigt. Zu viert ziehen wir an den daumendicken Fallen und Schooten, um Segel einzuholen, zu setzen oder zu trimmen. Dann steht der kleine dicke Mann am Steuerhaus, gibt Kommandos und brüllt uns alle zusammen. Ist nicht böse gemeint. Wind und See sind halt so laut.

25. Tag

Morgens und abends ist die Sonne jetzt nicht mehr von Wolken verhangen. Es ist auch viel wärmer geworden. Ein Crewmitglied hantiert souverän mit dem Sextanten, um die Position zu bestimmen. Ich lasse mich gerne einweisen in dieses komplizierte Gerät. Seit es „GPS“ gibt, ist ein Sextant eigentlich nicht mehr notwendig. Die Position, Geschwindigkeit und notwendige Kurskorrekturen werden von dem taschenrechnergroßen GPS-Computer bereitgestellt. Kinderleicht. Nur was tun, wenn der ausfällt? Also gibt es doch noch Sextanten an Bord.

26. Tag

Ans Ruder müssen alle mal ran. Tag und Nacht. Im Zweistundenrhythmus, was besonders nachts eine aufregende Sache ist. Die Steuerkajüte ist unbeleuchtet. Nur Radar, GPS und Kompass leuchten im Dunkeln. Wenn die Nacht klar ist, schimmern die Wellenkämme weiß. In solchen Momenten kommt man unweigerlich ins Grübeln. Der Mondaufgang ist wie die Ankunft eines Freundes. Gerade bei Nacht gibt es spannende Momente. Obwohl wir den Horizont regelmäßig mit dem Fernglas beobachtet haben, tauchen plötzlich Lichter in der Nähe auf. Es ist ein Containerschiff auf Abfangkurs. Wir ändern den Kurs und bleiben in sicherer Entfernung.

27. Tag

Wir werden immer routinierter. Auch diejenigen, die keine Seeerfahrung haben. Ich habe das Gefühl, als ob wir schon ewig unterwegs wären, und es nichts anderes mehr auf dieser Welt gebe als dieses Schiff und seine Crew. Ein kleiner einsamer Organismus, der willenlos die Wellenberge entlangtanzt. Trotzdem schaffen wir manchmal 150 Seemeilen am Tag. Dann ist es so weit: Man kann Land riechen. Es sind die uns alltäglich bekannten Gerüche, die plötzlich wieder auftauchen – vermischt mit unbekannten Gerüchen tropischer Früchte und Gewürze. Eine Atlantikkarte zeigt uns an, dass uns nur noch wenige Stunden von unserem Ziel St. Vincent trennen. Im Radio hören wir bereits die ersten karibischen Sender, Reggaemusik dudelt. Seevögel von der anderen Seite des Ozeans begrüßen uns, und alle spüren ein Kribbeln unter der Haut, weil wir es bald geschafft haben.

28. Tag

Seit Tagen hat es nicht mehr geregnet. Am blauen Himmel ziehen Schäfchenwolken entlang. Die Segel stehen in voller Pracht über uns. Wir segeln die Küste von St. Vincent entlang. Alle stehen an der Reeling, um das überwältigende Grün der Insel zu bestaunen, nach so vielen Tagen Wasserwüste. Plötzlich dreht der Wind. Jetzt müssen alle noch mal ran, die Segel einholen. Die Bucht von Bambareaux ist schmaler als das Schiff breit ist. So fahren wir vorsichtig rückwärts hinein. Der Anker wird ausgebracht und fällt platschend ins Wasser. Mit dem Schlauchboot bringen wir ein armdickes Tau zum Strand, um die „Stahlratte“ achtern an einer kräftigen Palme festzumachen. Es ist geschafft. Die ersten reißen sich die Klamotten vom Leib und rein ins warme karibische Wasser. Den ersten Abend beenden wir mit einer ausgelassenen Beachparty.

Der Autor, ein erfahrener Skipper, hat die letzte große Karibiktour der „Stahlratte“ im Frühjahr 2000 mitgemacht.

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