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Heimlich in die Kirche

In Berlin leben 3.000 Filipinos. 95 Prozent davon sind Frauen, meist als Ehefrauen von deutschen Männern ins Land geholt. Morgen feiern sie in Neu-Westend die Unabhängigkeit – die ihrer Heimat

von ANTJE LANG-LENDORFF

„Mein Mann ist auch mein Opa“, sagt Hilda Linke und biegt sich vor Lachen. Sie fällt fast vom Stuhl, so komisch findet sie das. Die Filipina ist 44 Jahre alt, ihr deutscher Mann 89. Vor 12 Jahren lernten sie sich kennen, als der pensionierte Flugzeugmechaniker auf den Philippinen Urlaub machte. „Ich suche eine Frau“, sagte er zu Hilda. Eine Freundin riet ihr, die Chance wahrzunehmen. Seither lebt sie wie rund 3.000 ihrer Landsleute in Berlin.

Das Wort „Landsfrauen“ trifft es besser, denn über 95 Prozent der Filipinos, die in der Stadt wohnen, sind weiblich. In den späten 70ern und frühen 80ern reisten viele Frauen in die Bundesrepublik ein, um hier als Krankenschwestern Geld zu verdienen. Seit sie jedoch nur noch ein Touristenvisum bekommen, kommen Einwanderinnen fast nur noch über eine Ehe nach Deutschland. Manche haben ihre Männer wie Hilda in ihrem Land kennen gelernt, andere über eine Vermittlungsagentur.

Wenn Hilda von ihrer ersten Zeit in Berlin erzählt, wird sie sehr ernst. Ihr Mann habe sie „wie einen Vogel im Käfig gehalten“, sagt sie. Aus der Wohnung in Steglitz ließ er sie nur, wenn sie einkaufen oder zu ihrer Arbeit als Toilettenfrau in einem Casino am Ku’damm ging. Er verbot ihr, sich in der philippinischen Gemeinde zu engagieren. Auch zur Sonntagsmesse durfte sie nicht, was der überzeugten Katholikin besonders zusetzte.

„Gott ist überall, beten kannst du auch zu Hause“, habe er ihr gesagt. Mehrmals sei sie heimlich ausgebüxt, erzählt sie kichernd. Trennen wollte sie sich nicht. Es wäre für sie eine Schande, als geschiedene Frau in ihre Heimat zurückzukehren. Denn dort sind Scheidungen rechtlich nicht möglich und entsprechend geächtet.

Hildas Mann weiß bis heute nicht, dass sie inzwischen regelmäßig den Gottesdienst besucht. Auch nicht, dass sie in einer religiösen Gruppe zur Sekretärin ernannt wurde. Zu Hause hat sie die Kasse übernommen, und tagsüber arbeitet sie in einer Elektrofirma. Ansonsten kümmert sie sich um ihren Mann. Denn der hat inzwischen „einen Herzschrittmacher, Wasser im Fuß und einen Tumor im Kopf“, zählt sie mit einem Seufzer seine Leiden auf. So habe sie sich das Leben in Deutschland nicht vorgestellt. Doch man müsse eben beten und sich den Problemen stellen, meint sie.

Ihr Glaube gibt ihr Kraft. Davon ist auch Father Erasio Flores, der Priester der Philippinischen Gemeinde in Berlin, überzeugt. Der 68-Jährige ist oft der erste Ansprechpartner für Frauen, die in Schwierigkeiten stecken. „Wenn der Altersunterschied in den Ehen groß ist und die Paare keine Kinder haben, gibt es fast immer Probleme. Besonders, wenn die Männer nicht offen sind für unsere Kultur“, berichtet er. Der Seelsorger bestärkt dann die Frauen in ihrem Vertrauen auf Gott. Und empfiehlt ihnen, sich eine Arbeit zu suchen, um unabhängiger zu sein. Mehrere Ehen habe er so gerettet, erzählt er stolz.

Früher waren es ausschließlich Frauen, die an seinem Gottesdienst in Neu-Westend teilnahmen. Seit dem Regierungsumzug nach Berlin kommt auch eine Hand voll Filipinos, die an der Botschaft angestellt sind. Von den deutschen Ehemännern begleitet fast keiner seine Frau in die Kirche. Einer wartet während der Messe draußen im Auto.

Father Flores setzt sich zwar für die Ehen der Frauen ein, doch nicht um jeden Preis: Wenn etwa Gewalt im Spiel ist, rät er den Filipinas, sich mit dem Frauenhaus in Verbindung zu setzen. Oder mit der Organisation Ban Ying, die asiatische Frauen im Notfällen eine Zuflucht bietet.

Ban Ying klärt die Filipinas dann auch über ihre Rechte auf. Wenn das Ehepaar vor einer Trennung keine zwei Jahre zusammengelebt hat, verfällt die Aufenthaltsgenehmigung der Filipina, sie muss zurück in ihr Land. Ebenso die Kinder, die manche Frauen mit in die Ehe bringen. Viele Männer seien erstaunlich gut über diese Rechtslage informiert und nützten sie aus, berichtet Ban-Ying-Mitarbeiterin Nivedita Prasad. „Einmal hat sich ein Deutscher sogar drei Filipinas hintereinander nach Berlin geholt und sie nach jeweils anderthalb Jahren wieder weggeschickt“, erzählt Prasad.

Die Organisation vermutet inzwischen, dass die Vermittlungsagenturen die Männer über ihre rechtliche Lage bereits im Vorfeld informieren. Nicht nur die „Mandelaugen und das hüftlange Haar“, mit dem eine Agentur im Internet die Frauen anpreist, macht sie für Deutsche attraktiv. Manchen Männern kommt es sicherlich entgegen, dass sie die „bunten Schmetterlinge, die einen Hauch verlockender tropischer Sommerschwüle in die regenfeuchte Bundesrepublik bringen“, ganz schnell wieder loswerden können.

Keine Filipina wird zur Hochzeit gezwungen. Sie melden sich freiwillig bei den Agenturen oder gehen mit den Touristen mit. Alle wollen den armen Verhältnissen des Inselstaats entkommen. Viele hoffen darauf, vom reichen Ausland aus Geld an ihre Familien schicken zu können. Trotz der Schwierigkeiten bereut ein großer Teil der Frauen die Auswanderung nicht.

Manina Kaiser*, eine Freundin von Hilda, ist glücklich, in Berlin zu leben. Mit 18 lernte sie den damals 50-jährigen Touristen Friedrich Kaiser* auf den Philippinen kennen. Auch ein Japaner habe ihr die Heirat angeboten. „Er wollte mir sogar ein Haus und meiner Mutter einer Fischzucht kaufen“, erzählt sie. „Aber ich dachte, je weiter weg, desto besser.“ So habe sie sich für Kaiser entschieden. Die Gutmütigkeit und Freundlichkeit des deutschen Immobilienhändlers sei natürlich auch ein wichtiges Argument gewesen.

Dem fiel die Entscheidung nicht so leicht, denn er verliebte sich noch in eine andere Filippina. Er plante bereits, Muslim zu werden, um mit beiden in Deutschland leben zu können. Als er jedoch mit den zwei Mädchen eine Zeit lang in einem Hotelzimmer wohnte, kratzten die sich gegenseitig fast die Augen aus. „Man weiß ja am Anfang nicht so genau, dass sie katholisch und sehr eifersüchtig sind. In arabischen Ländern wäre das kein Problem gewesen“, rechtfertigt er heute sein Vorhaben.

Er entschied sich für Manina. Seit 18 Jahren leben Kaisers nun in Deutschland, heute in einer Dreizimmerwohnung in Tiergarten. Die erste Zeit litt Manina unter der Kälte, der fremden Sprache und Kultur. Inzwischen fühlt sie sich wohl. Mit ihrem Mann verbinde sie eine gute Freundschaft, sagt sie. Sie arbeitet für ihn als Sekretärin. Er unterstützt ihre Aktivitäten in der Gemeinde. Die zwei Töchter sprechen sowohl Deutsch als auch Englisch und Tagalog. Und ihren Geschwistern auf den Philippinen schickt Manina jeden Monat Geld. Einmal im Jahr fliegt sie nach Manila. Doch nach ein paar Wochen kommt sie zurück. Denn Deutschland ist für sie immer noch „das Land, in dem Milch und Honig fließen“.

*Namen geändert

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