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Wer regiert Berlin

Kommt Klaus Wowereit? Der sammelt Punkte mit Offenheit: „Ich bin schwul und das ist auch gut so.“

aus Berlin ROBIN ALEXANDER

Beginnen wir mit den Tatsachen. Gestern hat die Berliner SPD auf einem Landesparteitag ihren Spitzenkandidaten nominiert: Klaus Wowereit, 47, bisher Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Er wird am Wochenende Eberhard Diepgen als Regierender Bürgermeister ablösen – mit den Stimmen der PDS. So weit zur Faktenlage.

Die ist allerdings in Berlin gerade Nebensache. Der Bruch der scheinbar ewigen großen Koalition stellt sich als wahre Eruption der politischen Szene heraus. Wer die Hauptstadt regiert, ist eine Personalie, die republikweit verhandelt wird. Und im Gespräch sind nicht Lokalmatadore, sondern echte Promis: „Tritt Schäuble in Berlin an?“ (Tagesspiegel), „Gysi, stemm den Bär!“ (taz). Die Möglichkeit, dass die Regionalpartei Ost (PDS) in der Hauptstadt regierungsfähig und damit auch im Bund politisch salonfähig wird, elektrisiert die anderen Parteien, die Medien und die Bürger. Jetzt ist die Zeit der Fragezeichen und Ausrufezeichen, des Konjunktivs und der Hoffnungen.

Gregor Gysi Bürgermeister? Diese zurzeit am häufigsten gestellte Frage beantwortet der Umworbene in Nebensätzen. Es sei doch schade, sagt er, dass der Regierende Bürgermeister nicht direkt vom Volk gewählt wird, sondern vom Abgeordnetenhaus. Gysi würde sich in einer Direktwahl Chancen ausrechnen. Drei bis vier Prozentpunkte könne er als Spitzenkandidat der ohnehin bärenstarken Berliner PDS hinzugewinnen, meinen Wahlforscher. Wäre die Leitung des Justizressorts in einem rot-roten Bündnis unter einem sozialdemokratischen Bürgermeister für den 53-Jährigen tatsächlich reizvoller, als seinen Charme in Talkshows zu verströmen? Alternativen gibt es in der PDS. Aber: Landeschefin Petra Pau wird die Ausstrahlung einer ehemaligen FDJ-Leiterin nicht los. Der Fraktionschef Harald Wolf ist zwar Finanzexperte, leider jedoch auch ein Besserwisser und -wessi. Gysi will sich in dieser Woche erklären.

Wolfgang Schäuble wäre eine Zierde für die Stadt“, windet Friedbert Pflüger dem ehemaligen CDU-Vorsitzenden Kränze. Seit der Bankenkrise haben die Christdemokraten in Umfragen schwere Einbrüche in der Gunst der Berliner Wähler hinnehmen müssen. Am nächsten Samstag fliegen auch noch ihre Leute aus den Schaltstellen im Senat. Kein Wunder, dass auch die Union einen Retter von außen herbeisehnt. In der Berlin-Debatte des Bundestags ergriff Schäuble das Wort und warb um Verständnis für die Pleite-Metropole. „Einen Besseren gibt es nicht“, jubelt Jörg Schönbohm, früher Innensenator der Stadt. Schäubles Problem: Er ist durch die CDU-Spendenaffäre belastet. Noch ein Geheimtipp: Volker Rühe. Der Verteidigungsminister a. D. könnte mit seinem manchmal markigen bis brutalen Auftreten gut ins Konzept eines scharfen Lagerwahlkampfs passen. Rühe ist aber nicht wirklich ein Rechter, wäre also auch gemäßigteren Konservativen in der Union vermittelbar. Rühes Problem: Er hat seine Wahl in Schleswig-Holstein verloren.

Dieses Schicksal könnte Berliner CDU-Eigengewächsen im Falle einer Spitzenkandidatur drohen. Peter Kurth scheiterte als Finanzsenator mit seiner Sparpolitik eher an seinem Chef Diepgen als an der SPD. Für einen Lagerwahlkampf nur bedingt tauglich. Ganz anders Frank Steffel: Der hat mit persönlichen Angriffen („charakterlich deformiert“) auf den SPD-Mann Wowereit schon in der letzten Woche gezeigt, wie er politische Kultur definiert. Steffels Manko: Er ist erst 35, erst seit Mitte Mai Fraktionschef und wirkt einfach wie ein großer Junge aus Reinickendorf – nicht wie ein Landesvater.

In dieser Rolle liebten die Berliner ihren Diepgen. Und Vorsicht! Diepgens politische Leiche ist noch nicht verscharrt. Noch hat Eberhard der Ewige nicht bekannt, ob er seinen Sturz durch Sozis, Kommunisten und Alternative nicht selbst rächen will – als Spitzenkandidat im Herbst.

Wer bei den Berliner Grünen politisch sozialisiert wurde, hatte in den vergangenen Jahren beste Aussichten auf eine steile Karriere. Allerdings nicht in Berlin. Die EU-Kommissarin und die Landwirtschaftsmisterin kommen garantiert nicht zurück. Aber Andrea Fischer? Für die populäre Exgesundheitsministerin könnte es 2002 eng werden in Sachen Wiedereinzug in den Bundestag. Fischer könnte die Partei in die Landesregierung führen. Dazu braucht sie den in Berlin immer noch starken linken Flügel, mit dem sie in jüngerer Zeit auffallend pfleglich umgeht. Einen wackeren Innensenator gäbe der grüne Fraktionschef Wolfgang Wieland ab. Wahlkampftauglich ist Wieland auch. Er galt lange als der beste Redner in Berlin – nach Diepgens Helfershelfer Klaus Landowsky. Zu lange vielleicht: Wieland ist zu sehr Urgestein, um glaubhaft den Aufbruch zu verkörpern.

Jetzt wird es unübersichtlich, wir kommen zur FDP: Günter Rexrodt kommandierte bis vor zwei Wochen eine außerparlamentarische Chaostruppe mit 2,2 Prozent. Nach den jüngsten Umfragen ist sie mit 7 Prozent ein echter Machtfaktor und könnte nach Neuwahlen in einer Ampelkoalition die PDS doch noch aus der Regierung fern halten. Einen guten Spitzenkandidaten würde Hans-Olaf Henkel (ehemals BDI) abgeben, meinen einige in FDP wie in Union. Bild am Sonntag und Landowsky meinen, der parteilose Henkel solle von Union und FDP gemeinsam nominiert werden, um mit diesem „bürgerlichen Bündnis“ Berlin vor den Kommunisten zu retten. Henkel selbst freut sich über die Krise in Berlin („Hier ist was los, hier bleibt man länger jung“) und lässt seine Vorschläge für den neuen Senat vom Tagesspiegel verbreiten: Der Unternehmensberater Roland Berger soll das Ruder übernehmen. Hat eigentlich schon jemand Jürgen W. Möllemann gefragt?

Kommt Volker Rühe? Mit seinem markigen Auftreten passt er gut ins Konzept eines Lagerwahlkampfs.

All diesen klangvollen Namen werden in den nächsten Tagen sicher noch weitere hinzugefügt. Jeder kann jetzt seinen Wunschkandidaten nennen. Das geschieht nicht immer aus ganz uneigennützigen Motiven. Der Vorschlag, Angela Merkel ins Rennen zu schicken, dürfte in der Bayerischen Staatskanzlei für noch größere Freude als an der Spree gesorgt haben.

Was aber geschieht, käme es tatsächlich zu einem Duell Gysi gegen Schäuble? Muss dann nicht auch die SPD mit einem Promi gegenhalten? „Ich stehe nicht zur Verfügung“, hat Gerhard Schröder schon einmal vorsorglich wissen lassen. Wolfgang Thierse ist Berliner, konnte bisher jedoch nicht einmal seinen Wahlkreis in Prenzlauer Berg gewinnen. Augenscheinlich fühlt sich Thierse als Hausherr im Bundestag ganz wohl. Könnte Oskar Lafontaine nicht die Finanzmärkte dieser Welt von Berlin aus zu bändigen suchen?

In Berlin sind schon ganz andere Prominente gescheitert. Wenn plötzlich alle etwas von Berlin wollen, wollen die Berliner vielleicht gar nicht. Und auf Eberhard Diepgen aus dem Wedding folgt dann einfach Klaus Wowereit aus Tempelhof.

Der machte sich gestern schon mal auf einen Wahlkampf als Schlammschlacht gefasst. Und holte Punkte durch Offenheit. „Ich sag euch jetzt etwas zu meiner Person“, sagte er den Genossen auf dem Landesparteitag, „ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Bravorufe, Jubel, Klatschen. Wowereit weiter: „Jetzt ist das Thema hoffentlich beendet.“ Hoffentlich kennt er seine Berliner.

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