„Das ist ein Volltreffer für uns“

Berlins Schwulenszene ist begeistert vom Selbstouting des künftigen Bürgermeisters Klaus Wowereit. Damit habe der SPD-Spitzenpolitiker das getan, was Homoaktivisten fordern: seine Homosexualität als etwas Selbstverständliches dargestellt

von HOLGER WICHT

„Lass mich raten, worum's geht . . .“ Biggy van Blond, Berlins bekannteste Tunte, ist natürlich längst im Bilde. Keine Frage, heute geht es überall um Klaus Wowereit. Das Coming-out des kommenden Bürgermeisters auf dem Sonderparteitag der SPD ist die Nachricht des Tages in Berlins Homoszene. „Es war ja ein offenes Geheimnis, dass er schwul ist, aber dass er es wirklich öffentlich sagt, hätte ich nicht gedacht“, sagt Biggy. „Das ist ein gutes Zeichen. Wenn er jetzt wirklich an die Regierung kommt, müssen sich die Leute anders mit dem Thema auseinandersetzen.“

Sonntagabend im „Schall und Rauch“, einer beliebten Szenebar in Prenzlauer Berg. Auf der Theke liegt der frisch gedruckte Berliner Kurier mit dem riesigen Zitat auf Seite eins: „Wowereit: Ich bin schwul – und das ist gut so.“ – „Ein Volltreffer für uns“, kommentiert Guido, Mitarbeiter des Hauses, „gerade jetzt!“

Wowereits Coming-out bildet zufällig den Auftakt zum schwul-lesbischen Wonnemonat Juni mit dem großen Straßenfest am Nollendorfplatz und dem Christopher Street Day. In der Hochsaison des öffentlich zelebrierten Selbstbewusstseins kommt die unverhoffte Schützenhilfe besonders gelegen.

Zwei Männer, etwa Anfang 30, lassen sich am Tresen nieder, bestellen Bier. Der eine greift nach dem Kurier und überfliegt die Titelseite. „Das ist ja der Hammer!“, murmelt er.

Szenenwechsel. Im SO 36 in der Kreuzberger Oranienstraße treffen sich sonntags Schwule und Lesben zur „Café Fatal“-Party. Hier wusste heute zu Beginn nicht jeder, wer Klaus Wowereit ist. Jetzt sind alle informiert. Moderatorin Sabine hat die gute Nachricht auf der Bühne verkündet. „Vielen fiel vor Erstaunen erst mal die Klappe runter“, sagt sie. Wie die meisten heute Abend stellt sie sich die Frage, ob Wowereit jetzt womöglich noch an seiner Offenheit scheitern kann. Doch eigentlich ist klar: Wenn bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag gegen Diepgen am Samstag SPD-Abgeordnete umfallen, dann wegen der notwendigen Kooperation mit der PDS. Ansonsten gilt wohl: „Wenn wir schon links werden, dann kann der Kandidat auch schwul sein.“ So äußerte sich die Pariser Zeitung Le Parisien, kurz bevor im März dieses Jahres der schwule Sozialist Bertrand Delanoë Bürgermeister der französischen Hauptstadt wurde. Es ist derzeit viel von Paris die Rede in Berlins schwul-lesbischer Szene.

„Wowereit steht für eine neue Generation von Politikern“, meint Michael Schmidt, Geschäftsführer des Berliner CSD e. V., der die Demonstration organisiert. Der Bürgermeister in spe mache genau das, was die Homobewegung immer gefordert habe: „Man muss sich einfach völlig normal verhalten, seine Homosexualität als etwas Selbstverständliches darstellen. Dann sagen die Leute: Okay, abgehakt, mal sehen, was er politisch zu bieten hat.“ Zum Beispiel schwulen- und lesbenpolitisch. Angesichts der Haushaltskrise bangt die Szene um ihre senatsgeförderten Projekte. Verbal hat sich Wowereit schon mehrfach für ihre Interessen stark gemacht.

Trotzdem: „Ich glaube nicht, dass er jetzt groß Homopolitik betreiben wird“, sagt die Damendarstellerin Biggy van Blond nüchtern, fügt dann aber grinsend hinzu: „Vielleicht senkt er ja die Kosmetiksteuer!“ Guido aus dem „Schall und Rauch“ meint: „Es ist gut, wenn die Community jemanden hat, den sie in die Pflicht nehmen kann – Diepgen hat sich ja nie für uns interessiert.“ Einen weiteren Vorteil sieht Rosa von Praunheim: „Fantastisch! Großartig!“, kommentiert der Schwulenaktivist der ersten Stunde Wowereits Flucht nach vorn. „Jetzt kann man nur hoffen, dass sich andere Politiker auch trauen. Endlich muss ich sie nicht mehr outen.“