: Kesse Christenmenschen
Mit flotten Sprüchen und provokanten Slogans gegen die Körperfeindlichkeit
„Und als er die Geschlechter Judas herzutreten ließ, wurde getroffen das Geschlecht der Serachiter. Und als er das Geschlecht der Serachiter herzutreten ließ, wurde Sabdi getroffen“ (4. Moses 26, 20)
„Gott ist für alle da – nicht nur für die Verklemmten!“ Unter diesem provokanten Motto haben sich Paderborner Menschen in einem „Arbeitskreis kirchenkritischer Christen“ zusammengefunden. „Gemeinsam wollen wir endlich nach zweitausend Jahren die Körperfeindlichkeit des Christentums überwinden“, lächelt Pater Ignatius, der sympathische Vorsitzende, breit. „Dabei sind und bleiben wir gläubige Christen“, schmunzelt Schwester Bernhardina, ein Mitglied des Bibelkreises. „Mit Leib und Seele!“, fügt sie verschmitzt hinzu und muss selber über das hintergründige Wortspiel kichern. Auch Pater Ignatius hat den Kalauer sofort begriffen und zwinkert ihr verschwörerisch zu. Herausfordernd knufft ihn Schwester Bernhardina in die Seite, doch da wehrt Pater Ignatius ab: „Halt, Schwester Bernhardina. Wir wollen den Herrn Reporter doch nicht warten lassen.“Mit rotem Kopf holt der Gottesmann ein Papier unter seiner Kutte hervor, und ich erfahre, dass der Arbeitskreis bald in die publizistische Offensive gehen möchte. „Wir wollen mit aufmüpfigen ‚Slogans‘ so heißt das ja heute, Werbung für die gute Sache machen“, eröffnet mir Pater Ignatius, und eine sichtlich hoch gestimmte Schwester Bernhardina fällt ein: „Kirche muss sich öffnen, sich frei machen von alten Sichtweisen! Dazu ist bei uns jeder willkommen!“ – „Und jede!“, fügt Pater Ignatius verschmitzt hinzu und lächelt so breit, dass ihm Schwester Bernhardina schelmisch mit dem Finger droht. Mit gespieltem Erstaunen zieht Pater Ignatius Brauen und Schultern hoch. Schon knufft ihn Schwester Bernhardina herausfordernd in die Seite, da gebietet ihr der Diener Gottes noch einmal Einhalt: „Es ist natürlich nur ein Konzept. Aber Sie werden merken, worum es uns geht. Lass das, Bernhardina. Um ein neues Gottesbild! Wir nehmen die Redensart vom lieben Gott einfach beim Wort. Nicht doch, Dini. Unsere kessen Ideen und flotten Sprüche dürfen Sie ruhig zitieren!“
Mit rotem Kopf vertiefe ich mich in das Konzeptpapier des „Arbeitskreises kirchenkritischer Christen“ und studiere die in der „Diskussion“ befindlichen „Slogans“. Ich weiß, dass das Fleisch schwach ist, aber sollen sich mir als Vertreter der freien, überkonfessionellen „Presse“ hier nicht die Haare sträuben, ohne dass ich mitteilen möchte, welche? Ich lese, und ich zitiere, was „ohne falsche Scham“ unter der Überschrift „Die Wahrheit über den lieben Gott“ an „kessen Ideen“ und „flotten Sprüchen“ für „moderne Menschen ohne antiquierte Vorurteile“ aufgelistet ist:
„Glaube und Hoffnung sind wichtig – aber am wichtigsten ist Gott die Liebe.“ – „Gott ist geil.“ –„Gott liebt dich – und zwar genau so, wie du es gern hast.“ – „Gott hat alle Zeit der Welt, aber wenn du willst, kommt er ganz schnell.“ – „Gott kann immer.“ Soll ich nicht besser aufhören, weiterzulesen müssen zu wollen?! „Gott ist allmächtig – ja sogar omnipotent.“ – „Das Wort Nächstenliebe hat für Gott einen ganz besonderen Sinn.“ – „Gott liebt dich so, wie er dich geschaffen hat.“ „Mach Gott nicht eifersüchtig – unzählige Götter neben sich hat er deshalb schon abgemurkst.“ – „Gott straft die Masochisten, weil er sie liebt.“ – „Gott steht auf Menschen, aber eigentlich liebt er jede Kreatur.“ – „Manchmal schmollt Gott – aber mit ordentlich Beten und Lobpreisen stimmst du ihn wieder lieb.“ – „Gott hat den Größten.“ Schweiß läuft mir auf die Stirn – aber ist das wirklich meine Stirn, und ist das wirklich Schweiß?! „In allen Religionen ist Gott das wichtigste Glied.“ – „Gott kann am längsten.“ – „Gott ist kein Hänger.“ –„Gott kriegt sie alle rum.“
Ich habe gerade die Lektüre des Arbeitspapiers beendet, als Pater Ignatius und Schwester Bernhardina aus dem Nebenzimmer wiederkommen. „Nun, was meinen Sie?“, fragt mich Schwester Bernhardina, ohne ihren roten Kopf ganz verbergen zu können. Ich lächle breit: „Die gute Absicht ist deutlich, aber –“ – „Genau!“, pflichtet mir Pater Ignatius bei, „wir sehen Gott in seiner ganzen Herrlichkeit.“ – „In Ewigkeit!“, ruft Schwester Bernhardina. „Amen“, sage ich und verabschiede mich von diesen beiden ungewöhnlichen Christenmenschen, die in unserer so verdorbenen Zeit das reine Evangelium der Liebe predigen wollen. Ob mit Erfolg? PETER KÖHLER
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