Spielen, um zu spielen

Der Brasilianer gewinnt zum dritten Mal die French Open und stellt sich damit auf eine Stufe mit Ivan Lendl und Mats Wilander. Auf anderen Belägen als Sand konnte Guga bisher aber nicht überzeugen

aus Paris DORIS HENKEL

Den Brasilianern ist es völlig egal, was er tut; sie lieben ihn auch so. Nachdem er vor vier Jahren in seinem blau-gelben Fußballhemd den ersten Titel in Paris gewonnen hatte, wurde Gustavo Kuerten zu Hause bei der Rückkehr von 200.000 Menschen empfangen. In der Zeit seither hat er es geschafft, ein ganzes Volk für den Sport des reichen weißen Mannes zu interessieren, und dass er sich in seiner Siegerrede nach dem Gewinn des dritten Titels bei den French Open am Sonntag zum Schluss auch in der Landessprache an seine Leute wandte, das machte viel Sinn. Wenn Gustavo, den längst alle liebevoll Guga nennen, spielt, dann werden die Spiele live vom brasilianischen Fernsehen übertragen, und jede Botschaft kommt an.

Guga ist ihr Held, und er ist es nicht nur, weil er Titel gewinnt. Sie sind stolz darauf, dass er sich in gewisser Weise kein bisschen von ihnen entfernt hat. Sie wissen, er liebt die Strände seiner Heimatstadt Florianópolis, er mag Bob Marley, sein Surfbrett, Gandhi, Senna und Schwarzenegger, und mit dieser Wahl können sie leben, auch wenn nicht jeder die Reihenfolge teilt.

Dass sich ihr Held in ein Turnier im fernen Frankreich verliebt hat und jetzt T-Shirts trägt, auf denen er diese Liebe dokumentiert, können sie verstehen; nach drei großen Siegen liegt das Stadion Roland Garros fast schon vor den Toren von Florianópolis. Mit seinem Sieg (6:7, 7:5, 6:2, 6:0) über den Spanier Alex Corretja hat Guga in Paris nun die Stufe von Ivan Lendl und Mats Wilander erreicht, und es gibt aus der Zeit des Profitennis nur noch einen einzigen, der am Bois de Boulogne erfolgreicher war: Björn Borg mit sechs Siegen.

Doch nicht jeder sieht die Dinge so. Vor ein paar Tagen hatte der Russe Jewgeni Kafelnikow erklärt, selbst wenn Kuerten den dritten Titel in Paris gewinnen sollte, gehöre er seiner Meinung nach noch nicht in die Kategorie eines Ivan Lendl. „Guga muss der Welt beweisen, dass er auch Turniere auf anderen Böden gewinnen kann. Bei den anderen Grand Slams war er noch nicht allzu gut, und deshalb ist es schwierig, ihn auf die gleiche Stufe zu stellen wie Lendl“, erklärte Kafelnikow. Zum Vergleich: Lendl gewann dreimal in Paris, dreimal bei den US Open und zweimal in Australien, stand dazu noch elfmal im Finale, Kuertens beste Ergebnisse bei den drei restlichen Grand-Slam-Turnieren waren die Viertelfinalspiele 1999 in Wimbledon und bei den US Open. Was zeigt, dass Kafelnikow in gewisser Weise nicht Unrecht hat.

Alex Corretja, der traurige Verlierer des Endspiels am Sonntag in Paris, sieht die Sache dennoch anders. „Guga hat den Masters Cup in Lissabon gewonnen, er ist die Nummer eins – zählt das nicht?“, fragt er. „Er soll beweisen, dass er die Australian Open oder die US Open gewinnen kann? Er muss gar nichts beweisen. Er muss nur darüber glücklich sein, was er schon erreicht hat.“ Ein Plädoyer dafür, Erfolge nicht gegen Gefühle aufzuwiegen und jedem Sieger den Ruhm zu lassen, den er verdient.

Gustavo Kuerten wird in zwei Wochen nicht in Wimbledon spielen; er sagt, er brauche jetzt dringend eine Pause und wolle nicht den selben Fehler machen wie im vergangenen Jahr. Auch das werden viele kritisieren, doch das ficht ihn nicht an. Aus seiner Sicht findet das wichtigste Tennisturnier der Welt nicht im Londoner Südwesten, sondern im Stade Roland Garros statt, und wenn er nur noch ein paarmal diesen einen Titel holt, wird er trotzdem glücklich sein. „Ich spiele nicht, um zu gewinnen“, hat er mal gesagt, „ich spiele, um zu spielen.“ Auch wenn dieser Satz vielleicht ein klein wenig übertrieben ist, sagt er mehr als eine Sammlung großer Titel. Mit einem Satz wie diesem kann er jederzeit nach Hause kommen; viel mehr als Erklärung brauchen sie dort nicht.