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Eine halbe Million Kindersoldaten

300.000 Kinder kämpfen weltweit in bewaffneten Konflikten, davon allein 120.000 in zehn Ländern Afrikas, schreibt der Weltkindersoldatenbericht 2001. Weitere 200.000 dienen als „Spione, Boten, Späher, Träger, Dienstboten und Sexsklaven“

von DOMINIC JOHNSON

Die Zahl der Kindersoldaten auf der Welt ist im vergangenen Jahr auf Rekordniveau gestiegen. Eine halbe Million Kinder dienen in Armeen und anderen bewaffneten Gruppen, davon 300.000 als aktive Kämpfer in über 40 Ländern, sagte gestern ein Bündnis von Hilfsorganisationen bei der Vorstellung des „Weltkindersoldatenberichts 2001“ (auf Deutsch unter: www.tdh.de). Der Bericht wurde von der „Coalition to Stop the Use of Child Soldiers“ erarbeitet und ist die bisher umfangreichste Dokumentation des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen als Akteure in bewaffneten Konflikten.

Während auf dem Balkan, in Lateinamerika und im Nahen Osten die Zahl der Kindersoldaten beträchtlich abgenommen habe, so der Bericht, seien in Asien und Afrika „neue Generationen von Kindersoldaten“ rekrutiert worden. „Während viele Kinder an der Front kämpfen, werden andere als Spione, Boten, Späher, Träger, Dienstboten und Sexsklaven eingesetzt. Kinder werden oft zum Legen und Räumen von Landminen verwendet oder dazu gebracht, Gräueltaten gegen ihre eigenen Familien und Gemeinschaften zu begehen. Die meisten Kindersoldaten erleiden körperlichen Missbrauch und andere Entsagungen innerhalb der Streitkräfte; in extremen Fällen werden Kindersoldaten zum Selbstmord oder zum Mord getrieben, wenn sie die Misshandlung nicht länger ertragen. Wenn Kinder als Soldaten eingesetzt werden, verdächtigen Kriegsparteien oft alle Kinder in einer Konfliktzone.“

Allein 120.000 der geschätzt 300.000 kämpfenden Kindersoldaten sind in zehn afrikanischen Ländern im Einsatz: Angola, Äthiopien, Burundi, Kongo-Brazzaville, Demokratische Republik Kongo, Liberia, Ruanda, Sierra Leone, Sudan und Uganda. Manche der Kinder sind nur sieben Jahre alt. Grenzüberschreitende Rekrutierung von Kindern nimmt zu: Die ugandische Rebellenbewegung LRA (Lord’s Resistance Army) hat über 10.000 Kinder aus Uganda entführt und in den Sudan gebracht, Angolas Armee hat in Namibia Kindersoldaten aufgenommen, Burundis Hutu-Rebellen werben in Kenia Straßenkinder an, und die Armeen Ruandas und Ugandas rekrutieren Kinder in den von ihnen kontrollierten Teilen der Demokratischen Republik Kongo.

In anderen Teilen der Welt sind es die Tamilenrebellen Sri Lankas, die verschiedenen Guerillagruppen Kolumbiens und einige kurdische Organisationen, die am liebsten Kinder rekrutieren. Als problematisch sieht der Bericht die auch in Europa weitverbreitete Praxis, Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren den Beitritt zum Militär zu erlauben.

Die internationale Aufmerksamkeit für das Problem steigt nur langsam. Vom 19. bis 21. September findet eine UN-Sondervollversammlung über Kindersoldaten statt. Ende Mai gab es in Ägyptens Hauptstadt Kairo einen panafrikanischen Kindergipfel, auf dem neben dem Schicksal der Kindersoldaten auch das Problem der Kindersklaverei erstmals auf gesamtafrikanischer Ebene diskutiert wurde.

Aufmerksamkeit erregte auf dem Kairoer Gipfel die Rede des zwölfjährigen Steven Swankay, Veteran des Bürgerkrieges in Sierra Leone, wo die Armeen aller Kriegsparteien zu großen Teilen aus Minderjährigen bestehen. Swankay diente 1997 bis 2000 bei der Rebellenbewegung RUF, die inzwischen auf UN-Druck ihre Kindersoldaten freilässt. Er sagte den Gipfelteilnehmern: „Ich bin gekommen, um euch zu sagen, dass ihr den Kindern helfen müsst, die die Rebellen freilassen. Ihr müsst uns helfen, sonst werden wir wieder Rebellen oder Diebe. Ihr müsst uns ermutigen, unsere Eltern sind im Krieg gestorben, und wer kümmert sich jetzt um uns?“

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