: Die faltigste Boygroup der Welt
■ Rentner des Son: Vieja Trova Santiaguera verabschieden sich vom europäischen Publikum – am Sonntag in der Fabrik
Der Son über den Gelähmten, der vom Wunderdoktor kuriert die Krücken von sich warf und vor Freude anfing zu tanzen, könnte kaum besser passen. Ähnlich wie dem Gelähmten geht es den alten Herren von der Vieja Trova Santiaguera, die mühsam auf die Bühne kraxeln und mit jedem Stück ein wenig von der Bürde des Alters abschütteln. Jedes Solo verleiht neue Spannkraft und das Lächeln auf ihren faltigen Gesichtern wird von Applaus zu Applaus breiter.
Doch einmal muß Schluss sein, sagt Reinaldo Hierrezuelo. Für den 75-jährigen Bandleader der Vieja Trova Santiaguera ist es die letzte ausgedehnte Tournee. Er will sich rechtzeitig von den Fans in Europa verabschieden und nicht erst, wenn die Zipperlein Überhand nehmen. Ein letztes Mal die Huldigungen des treuen Hamburger Publikums genießen, die Hüften auf der Bühne in der Fabrik kreisen lassen und zum Schluss das Taschentuch schwenken, davon träumt das rüstige Son-Urgestein. Er hat das Beispiel Compay Segundos vor Augen, der seine Tour gerade krankheitsbedingt absagen musste. Das soll ihm nicht passieren. Zeit für die Familie will er haben und seinen Enkeln noch den Son einpflanzen, denn seine Musik wird ihn sicherlich überdauern. Dafür hat Rey Caney, so Hierrezuelos Künstlername, unter dem die eine oder andere Soloplatte erschienen ist, vorgesorgt. Mit Harry Belafonte hat er gespielt und mit den Größten der kubanischen Son-Tradition – mit Beny Moré und Arsenio Rodríguez – Aufnahmen gemacht. Das ist in den Annalen festgehalten und die Erfolge der letzten Jahre waren noch einmal ein unverhofftes Déjà-vu.
Ein Gefallen war es, der ihn und seine Kumpel um den 88-jährigen Aristoteles Limonta zurück auf die internationalen Bühnen brachte. Für ein spanisches TV-Team schmissen sich die alten Herrschaften noch einmal in Schale und griffen in der Casa de la Trova in Santiago de Cuba in die Saiten. Einem Gast gefielen die agilen Rentner so gut, dass er sie nach Spanien einlud und eine Platte mit ihnen aufnahm. Reinaldo und seine Jungs waren wieder im Geschäft und bereiteten dem Kuba-Boom nicht nur in Spanien den Boden.
Für Reinaldo Hierrezuelo, der es genossen, hat in der Bugwelle des Buena Vista Social Club zu segeln, eine mehrfache Genugtuung auf seine alten Tage. Über schlechte Musik kann sich der ergraute Gigolo nämlich mächtig aufregen und dazu gehört für ihn so mancher kubanische Salsero. „Viele können nicht mal richtig singen, haben keinerlei melodisches Feingefühl und lassen sich feiern wie die Superstars“, lästert er über den Rand seiner dicken Brille blickend. Zumindest international haben die faltigen Boys den Salseros das Wasser abgegraben – letztere wenigstens dürften sich also über den Abschied der fünf alten Herzensbrecher freuen. Knut Henkel
Dienstag, 21 Uhr, Fabrik
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