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Berghofer will wieder Häuptling sein

Wolfgang Berghofer, letzter SED-OB von Dresden, möchte wieder in sein altes Amt – und frühere Genossen zürnen

„Schon als Kind war ich gern der Häuptling, der Erste im Rudel, das Alphatier, der Natschalnik, der Boss“, schreibt Wolfgang Berghofer in seinen Frühmemoiren „Meine Dresdner Jahre“. So gesehen, ist das 58-jährige Cleverle Berghofer bis heute Kind geblieben. Jenseits aller Systeme siegte der Macher, der Pragmatiker, das Organisationstalent. Im Vertrauen auf ebendiese Eigenschaften schildert er in seinem Buch auch seinen Optimismus zu Wendezeiten. Die bedeuteten äußerlich für ihn eine Kehrtwende vom SED-Oberbürgermeister Dresdens zum Generalbevollmächtigten der Stuttgarter Häussler-Unternehmensgruppe in der Noch-DDR. Innerlich, so meinen gerade die Bürgerrechtler, die ihm im Herbst 1989 gegenübersaßen, musste er sich kaum verändern. FDJ-Karriere bis zum Zentralrat, „Macher der Jubelfeste“, 1986 zum Oberbürgermeister ins schwierige Elbflorenz abdelegiert.

Dass hier ein „Bergatschow“-Mythos entstehen konnte, liegt an seiner vorsichtigen Aufmuckerei in sehr praktischen Fragen, weniger an einer gewandelten Grundhaltung. Gesinnungen sucht man in seiner Selbstbiografie ohnehin vergeblich. Stasi-Mitarbeit und Wahlfälschung waren systembedingte Konzessionen. Mit sicherem Gespür für den sich drehenden Wind verließ er im Januar 1990 als stellvertretender Vorsitzender die SED-PDS, ein Schock für Gysi und Genossen.

Mittlerweile als freier Unternehmensberater zu einem bescheidenen Konto gekommen, stellt er seine Vita geradezu folgerichtig als den Weg zur Erkenntnis vom Endsieg der freien Marktwirtschaft dar. Unübersehbar bleiben seine Eitelkeit und Egomanie. Biedenkopfs Privatgast und Partyorganisator im Haus am Chiemsee gewesen zu sein hat offenbar eine bis heute andauernde Freundschaft begründet. Sein jüngster Coup, im zweiten Wahlgang zur OB-Wahl in Dresden doch noch zu kandidieren, passt ins Bild.

Als „Seiltänzer“ empfanden ihn die Demonstranten im Oktober 1989, und schon bei der Kommunalwahl 1990 eierte er in der inzwischen geläufigen Weise um eine Wiederkandidatur herum. Noch am 11. Mai dieses Jahres hatte er bei seiner Absage in Dresden auch eine Bewerbung im zweiten Wahlgang definitiv ausgeschlossen. In einem Anfall von Einsicht erklärte er, seine mögliche Amtsübernahme würde die Stadt und den Stadtrat nur noch mehr spalten. Zumal in seinem vorgelegten Als-ob-Wahlprogramm von sozialen Fragen fast nicht und stattdessen von radikaler Privatisierung die Rede ist. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Wahlchancen bereits drastisch gesunken, die avisierte Unterstützung durch die PDS musste als Absagegrund herhalten.

Ende 2000 hatten ihm Umfragen noch beste Aussichten bescheinigt, wenn auch vor allem unter älteren Dresdnern. Einen kolportierten Deal mit der im ersten Wahlgang unterlegenen städtischen CDU und ihrem Kandidaten Herbert Wagner bestreitet diese energisch. Sinn machte er nur dann, wenn Berghofer tatsächlich Stimmen von dem von einer Bürgerinitiative nominierten Herausforderer Ingolf Roßberg abziehen könnte. „Berghofer soll sich zum Teufel scheren, nachdem er uns monatelang verarscht hat“, meinte schon am Wahlsonntag die Ex-PDS-Stadtvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski.

MICHAEL BARTSCH

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